Beispiele für Zwangsstörungen

Von Sarina Kühne und Martin Niebuhr

Viele bunte Notizzettel an eine Pinnwand befestigt.

Eine Zwangsstörung kann alle erdenklichen Formen annehmen: Genauso unterschiedlich die Menschen sind, sind auch die Zwänge, die sie betreffen. Dennoch sind bestimmte Themen, auf die sich der Zwang bezieht, besonders häufig anzutreffen. Und nicht selten leiden Betroffene sogar an mehreren dieser sogenannten Subtypen gleichzeitig. In diesem Artikel stellen wir dir die häufigsten Formen der Zwangserkrankung vor.

Waschzwang (Contamination OCD)

Ständige Furcht und Besorgnis vor Ansteckung oder vor Verschmutzung. Im Vordergrund steht meist die Befürchtung, sich oder andere mit einer ansteckenden Krankheit zu infizieren oder sie unwissentlich zu verbreiten. Um diese Befürchtungen zu verhindern, versucht der Betroffene meist durch exzessives Waschen und Reinigen eine potentielle Kontamination zu verhindern. Bei einigen Betroffene steht keine Befürchtung im Vordergrund, sondern vor allem ein starkes Ekel-Gefühl. Andere wiederum leiden an emotionaler / moralischer / mentaler Kontamination. 

Weitere Informationen:

Kontrollzwänge (Checking OCD)

Die Angst, dass durch einen Fehler oder unvorsichtiges Verhalten ein schlimmer Unfall, ein großer Schaden oder eine andere, nicht rückgängig zu machende, Katastrophe entsteht. Diese befürchtete Katastrophe versuchen Betroffene durch mehrfaches, zeitintensives Kontrollieren und Überprüfen um jeden Preis zu verhindern.

Weitere Informationen:

Zwanghafte Angst vor unwissentlicher Fahrerflucht (Hit-and-Run OCD)

Betroffene dieser verbreiteten Unterform des Kontrollzwangs befürchten, unbemerkt eine Person angefahren oder überfahren zu haben. Meist fahren Betroffene die zurückgelegte Strecke wiederholt ab oder kontrollieren ihr Fahrzeug auf Unfallspuren.

Weitere Informationen:

Aggressive Zwangsgedanken (Harm OCD)

Aufdringliche, wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen oder Impulse mit gewalttätigen Inhalten. Betroffene haben keine Intention, diese Gewaltfantasien in die Tat umzusetzen, weshalb sie - zumeist erfolglos - versuchen, sich gegen diese Gedanken zu Wehr zu setzen. Weil die Gedanken trotz dessen im Verlauf der Erkrankung immer häufiger und intensiver auftreten, hinterlassen sie eine hohe Anspannung und werden als bedrohlich empfunden.

Weitere Informationen:

Suizidale Zwangsgedanken (Suicidal OCD)

Aufdringliche, wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen oder Impulse mit gewalttätigen Inhalten, die sich gegen den Betroffenen selbst richten. Die Zwangsgedanken können von Inhalten der Selbstverletzung bis hin zu suizidalen Inhalten variieren. Betroffene haben keine Absicht, ihre suizidalen Zwangsgedanken in die Tat umzusetzen - auch, wenn sie daran zweifeln. Manche Betroffene haben außerdem Angst, depressiv zu sein oder zu werden, da starke Depressionen eine häufige Ursache für einen tatsächlichen Suizid sind. 

Weitere Informationen:

Sexuelle Zwangsgedanken (Sexual OCD)

Aufdringliche, wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen, Zweifel und Impulse mit sexuellen Inhalten. Häufige Unterformen sind die sexuelle Belästigung von Mitmenschen/Kindern, Zweifel an der sexuellen Orientierung oder als abstoßend erachtete sexuelle Fantasien. Von Betroffenen werden diese Gedanken als belastend, quälend und unangenehm, aber nicht als lustvoll empfunden, weshalb sie - zumeist erfolglos - versuchen, sich gegen diese Gedanken zu Wehr zu setzen. 

Weitere Informationen:

Zwangsgedanken über Pädophilie (Pedophilia OCD)

Diese Unterform der sexuellen Zwangsgedanken dreht sich um die Befürchtung, pädophil zu sein oder durch pädophile Handlungen straffällig zu werden. Die damit einhergehenden Zweifel und Zwangsgedanken stehen in keinem Zusammenhang mit den tatsächlichen Wünschen und Werten des Betroffenen und werden als belastend und quälend empfunden. Hinter dieser belastenden Form der Zwangsstörung verbergen sich keine “unterdrückten” Wünsche oder eine tatsächliche Pädophilie.

Weitere Informationen:

Zwangsgedanken über sexuelle Orientierung (Sexual Orientation OCD)

Bei dieser Unterform der sexuellen Zwangsgedanken stehen unbegründete Zweifel an der sexuellen Orientierung des Betroffenen im Vordergrund. Dabei befürchten beispielsweise heterosexuelle Betroffene homosexuell zu sein (HOCD) oder umgekehrt. Manche Betroffene zweifeln auch an ihrer Geschlechtsidentität und befürchten, eigentlich transgender zu sein oder umgekehrt (Transgender OCD). 

Weitere Informationen:

Lesefaul?
Folge uns auf Social Media!


Zwangsgedanken über Beziehungen (ROCD)

Betroffene von ROCD sind ständigen, aufdringlichen Zweifeln an der eigenen Beziehung oder am Partner ausgesetzt. Diese Zweifel werden als belastend, quälend und unangenehm empfunden, weshalb Betroffene - zumeist erfolglos - versuchen, diese Zweifel aufzulösen. Dafür suchen sie unter anderem im Internet nach Antworten, vergleichen ihren Partner mit anderen oder überprüfen ständig, ob sie ihren Partner ausreichend lieben. Diese Form der Zwangsstörung beschränkt sich nicht nur auf romantische Beziehungen und kann auch in platonischen oder familiären Beziehungen (etwa die Liebe zum eigenen Kind betreffend) auftreten.

Weitere Informationen:

Moralische Zwangsgedanken (Moral Scrupulosity OCD)

Ständige Zweifel, ob man ein guter Mensch ist, und Angst, in Situationen moralisch “falsch” zu handeln. Betroffene haben meist das große Bedürfnis nach einem absolut reinen Gewissen und spüren den Drang, die moralisch ”perfekte” Entscheidung zu treffen. Moralische Zwangsgedanken können auch als Bestandteil vieler anderer Formen der Zwangsstörung auftreten.

Weitere Informationen:

Zwangsgedanken über tatsächliche Ereignisse (Real Event OCD)

Betroffene grübeln qualvoll über ein Ereignis in der Vergangenheit nach, das tatsächlich stattgefunden hat. Häufig handelt es sich dabei um einen Fehler, den sie begangen haben. Betroffene haben häufig das Bedürfnis, sich von der damit verbundenen Schuld (bspw. durch zwanghaftes Beichten) zu befreien oder absolute Gewissheit über die Bedeutung und die Folgen ihres Fehlers zu erlangen.

Weitere Informationen:

Zwangsgedanken über Erinnerungen (False Memory OCD)

Andauernde und quälende Zweifel über die eigenen Erinnerungen. Dabei steht meist das Zweifeln an der Echtheit einer Erinnerung oder die Besorgnis, man könne sich an ein entscheidendes Detail nicht mehr erinnern, im Vordergrund. Der Betroffene versucht durch Zwangshandlungen wie Grübeln und gedankliches Rekonstruieren, den prophylaktischen Aufbau von “Alibis” oder das Einholen von Rückversicherung bei anderen Personen Gewissheit über die Echtheit und Exaktheit seiner Erinnerungen zu erlangen.

Weitere Information:

Hyperbewusstheits-Zwangsgedanken (Hyperawareness OCD)

Exzessive Aufmerksamkeit auf Stimuli aus dem eigenen Körper (z. B. das eigene Blinzeln oder Atmen) oder der Außenwelt (z. B Kaugeräusche anderer Menschen oder “Ohrwürmer”). Die Bewusstheit dieser Phänomene macht Betroffenen Angst und nimmt sie komplett in Beschlag, sodass ein großer Leidensdruck entsteht.

Weitere Informationen:

Existenzielle Zwangsgedanken (Existential / Philosophical OCD)

Ständig andauernde, zwanghafte und emotional belastende Beschäftigung mit Fragen existenzieller Natur, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. Existenzielle Zwangsgedanken drehen sich in der Regel um den Sinn und Zweck des Lebens, die Interpretation der Realität und die Existenz des Universums.

Weitere Informationen:

Religiöse Zwangsgedanken (Religious OCD)

Religiöse Zwangsgedanken sind charakterisiert von aufdringlichen, wiederkehrenden Gedanken, Vorstellungen und Zweifel mit religiösen Inhalten. Diese drehen sich meist um die Angst vor Schuldgefühlen durch Fehlverhalten, dessen schlimmste Folge in der Strafe durch Teufel, Hölle und Verdammnis Gottes gesehen wird. 

Weitere Information:

Angst, verrückt / schizophren zu werden (Schizophrenia OCD)

Andauernde, aufdringliche Gedanken, Zweifel und Befürchtungen darüber, psychotisch, schizophren oder “verrückt” zu sein bzw. zu werden. Der Betroffene versucht, durch Zwangshandlungen, wie das Kontrollieren auf die Echtheit von visuellen oder auditiven Reizen oder ständiges Grübeln, den daraus resultierenden Ängsten entgegenzuwirken und vermeintliche Sicherheit über seinen Geisteszustand zu erlangen.

Weitere Informationen:

Magisches Denken (Magical Thinking OCD)

Aufdringliche Gedanken rund um Aberglauben und magische Zusammenhänge, bei denen Betroffene versuchen, durch bestimmte Handlungen zu verhindern, dass anderen oder einem selbst ein großer Schaden widerfährt. Zwischen der ausgeführten Handlung und dem befürchteten Ereignis besteht keine logische Verbindung (z. B. “Ich muss die Wasserflasche fünf mal berühren, sonst passiert meiner Mutter etwas Schreckliches!”).

Weitere Information:

Ordnungszwang und zwanghafter Perfektionismus

Der Drang, Gegenstände in die für den Betroffenen "richtige" Ordnung, Symmetrie oder Balance zu bringen. Betroffene verbringen Stunden damit, Gegenstände wie Kleidung oder Bücher so anzuordnen, um das belastende Gefühl von Dysbalance und Unordnung loszuwerden. Andere Betroffene haben ein quälendes Unvollständigkeitsgefühl bei fehlender wahrgenommener Perfektion. Dies kann sich auf alles beziehen, bspw. darauf, wie die Kleidung oder das Make-Up sitzt oder wie gut die Arbeit erledigt ist. Zwanghafter Perfektionismus und das Unvollständigkeitsgefühl sind häufig auch bei anderen Formen der Zwangsstörung vorzufinden.

Weitere Informationen:

Zwangsgedanken über Gesundheit (Health Concern OCD)

Zwanghafte Besorgnis über die Gesundheit, die sich beispielsweise durch das ständige Kontrollieren auf eine nicht-erkannte Krankheit oder das exzessive Recherchieren von Krankheitssymptomen im Internet zeigen kann. Gesundheits-Zwänge unterscheiden sich von einer Hypochondrie dahingehend, dass ein Betroffener von Gesundheits-Zwängen seine Gesundheit wiederholt anzweifelt, während ein Mensch mit Hypochondrie zweifellos davon überzeugt ist, eine Krankheit zu haben - diese aber nie richtig entdeckt wurde. Gesundheits-Zwänge können in Verbindung mit Wasch- und Reinigungszwängen stehen. Andere Betroffene haben Angst, dass sich eine bestehende psychische Erkrankung verschlimmert oder dass sie eine neue psychische Erkrankung (wie bspw. eine Schizophrenie oder Depression) entwickeln.

Zwangsgedanken in der Schwangerschaft und nach der Geburt (Perinatal / Postpartum OCD)

Aufdringliche, beängstigende Gedanken und Befürchtungen, die sich auf die Schwangerschaft, die Geburt oder das Neugeborene beziehen. Meist handelt es sich dabei um aggressive oder sexuelle Zwangsgedanken oder die Angst, dass dem Baby ein Schaden zustoßen könnte. Manche Betroffene befürchten auch, ihr Kind nicht ausreichend zu lieben, oder nicht die “perfekte” Mutter/Vater zu sein.

Weitere Informationen:

  • Experten-Artikel zu Zwangsgedanken in der Schwangerschaft und nach der Geburt
  • Erfahrungsberichte von Betroffenen (Betül)

Zwanghafte Eifersucht

Aufdringliche und quälende Gedanken oder bildhafte Vorstellungen über die Untreue des Partners. Bei retrospektiver Eifersucht befürchten Betroffene, dass ihre aktuelle Beziehung zum Partner eine schlechtere Beziehungsqualität hat als dessen Ex-Beziehung. 

Weitere Informationen:

Mein Thema ist nicht dabei - Habe ich trotzdem eine Zwangsstörung?

Dein Zwang war nicht dabei oder du willst mehr über typische Erscheinungsformen der Zwangsstörung erfahren? Hier findest du 100 typische Beispiele für Zwangsgedanken und 100 typische Beispiele für Zwangshandlungen.

Du willst mehr über die Gemeinsamkeiten einer Zwangsstörung erfahren und wie man Zwänge überwindet? Wirf einen Blick in unsere ausführliche Einführungs-Serie zu Zwängen.

Über die Autoren
Sarina Kühne

Sarina ist eine ehemalige Betroffene einer Zwangsstörung und setzt sich engagiert für die Aufklärung über Zwangserkrankungen ein. Unter anderem hat sie auf OCD Land einen Betroffenenbericht geschrieben und war zu Gast im Zwanglos-Podcast. Als Digital Marketing Manager erstellt Sarina für OCD Land informative und hilfreiche Artikel für unseren Experten-Blog, Instagram-Posts und YouTube-Videos. Sie ist außerdem Moderatorin im Community-Forum.

Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.