Aggressive Zwangsgedanken – Die berechtigte Hoffnung, dass es wieder gut wird

Von Marius, 25 Jahre

Mir ging es bereits seit Anfang 2020 nicht gut. Zu dieser Zeit plagten mich jedoch generalisierte Ängste, vor allem auf die Zukunft bezogen, sowie eine depressive Grundstimmung. Ich weiß nicht genau wieso, aber im Sommer 2020 ging es mir relativ schnell wieder gut. Ich hatte eine richtig gute Zeit, meditierte und ging wieder allen meine Hobbies nach.

Mein erster bewusster Zwangsgedanke, an den ich mich bewusst erinnere, trat im August 2020 in mein Leben. Wobei das eine eher harmlose Formulierung ist. Ich stand in der Küche und war am Essen zubereiten. Auf einmal kam mir der Gedanke: „Das ist ein ziemlich spitzes Messer, damit könntest du jemanden echt verletzen oder gar abstechen“. Ich war schockiert. Wie konnte ich so etwas denken? Hat das etwas zu bedeuten? Ich tappte in die Falle, in die wahrscheinlich jeder Zwangserkrankte tritt. Ich grübelte und grübelte. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die Gedanken über das Messer meinen ganzen Tag ein. Besonders wenn ich mit meinem Freund in der Küche war, hatte ich Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren und auf ihn loszugehen.

Eine Woche später war ich mit meinem Freund im Urlaub. Die Zwangsgedanken wurden immer schlimmer und intensiver. Ich war zu dieser Zeit schon in Therapie, hatte meiner Therapeutin bis dahin aber noch nichts erzählt. Und so wurde der Urlaub ein einziges Drama. Gleich am ersten Abend hatte ich panische Angst, dass ich nachts auf dem Weg ins Bad die Kontrolle über mich verliere, die Küchenschublade aufmache und meinen Freund im Schlaf mit dem Messer ersteche. Das war zu viel für mich. Eine ausgewachsene Panikattacke kam über mich, ich zitterte am ganzen Körper, musste mich übergeben und bekam kaum noch Luft. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich an einer Psychose leide und wollte mich deshalb in die Psychiatrie einweisen lassen. Mein Freund bekam alles mit und rief schließlich den Notdienst. Die Ärztin verschrieb mir Beruhigungstabletten. Mit diesen rettete ich mich gerade so den Urlaub durch. Als ich wieder zu Hause war, erzählte ich meiner Therapeutin sofort alles. Sie nahm alles ganz entspannt auf und sagte zu mir: „Ich kann Sie beruhigen, sie haben Zwangsgedanken“. Mir fiel wirklich ein Stein von Herzen. Ich hatte also einen sicheren Namen für das, was da in mir vor sich ging.

In den nächsten Wochen ging die Arbeit aber erst so richtig los. In der Zwischenzeit suchte sich der Zwang immer wieder neue Wege, mich zum Zweifeln zu bringen. In der Küche kam mir nicht mehr der Gedanke: „Ich könnte jetzt meinen Partner erstechen“, sondern es wandelte sich in „Stech ihn ab“. Der Zwang ging also schon auf meine Psychose-Angst, die ich immer noch hatte. Zu dieser Zeit hatte ich die Fallstricke des Zwangs noch nicht durchschaut. Mit meiner Therapeutin machte ich als Erstes eine Konfrontation. Ich musste ihr in allen Details und Einzelheiten meine Horrorgedanken- und Vorstellungen schildern. Das war wahnsinnig hart für mich, denn wer erzählt schon gerne darüber, wie er einen geliebten Menschen bestialisch ermordet.

Doch auf einmal veränderte sich etwas. Ich musste lachen. Lachen über das, was ich da eigentlich von mir gebe. Nachdem ich mir für eine gewisse Zeit täglich eine Sprachaufnahme mit meinen Gedanken anhören musste, erkannte ich, dass es alles nur Gedanken waren. Ich fasste Mut und dachte die Gedanken teilweise sogar extra und stellte mir in Gedanken absichtlich vor, wie ich meinen Partner verletze. Mit jedem Mal wurde die Angst ein kleines Stück weniger. Das machte sich relativ schnell auch im Alltag bemerkbar. Beschäftigten mich die Zwangsgedanken zuvor noch 95% des Tages, war ich nach 3-4 Wochen Übung auf einmal bei 10-20%. Ein wahnsinniger Fortschritt! Ich muss hinzusagen, dass ich nicht nur aggressive Gedanken hatte, sondern auch pädophile Zwangsgedanken. Doch auch dort das gleiche: Nach der ständigen Konfrontation waren diese nach einiger Zeit fast komplett weg.

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Ende 2020 hatte ich leider einen Rückfall, weshalb ich von meiner Therapeutin fälschlicherweise in eine tiefenpsychologische Klinik überwiesen wurde, die mich im Nachhinein nur noch mehr verunsichert hat. Es wurden Theorien über die Ursache meiner Probleme aufgestellt, die vielleicht einer von vielen Aspekten waren, aber nicht der ausschlaggebende Grund. Als ich aus der Klinik kam, ging es mir weiterhin schlecht. Ich hatte das Gefühl, dass ich so labil war, dass ich anfällig für alles war. Hinzu kamen dann etwa auch Hyperbewusstseinszwänge, durch die ich ständig auf mein Blinzeln achten musste. Trotzdem habe ich mich auch von diesem neuen Zwang nicht unterkriegen lassen. Ich habe einfach ständig versucht, mich in Akzeptanz zu üben. Auch die Konfrontationen habe ich weitergeführt. Schließlich wurde es nach und nach doch wieder besser. Der Blinzelzwang ist beispielsweise wieder komplett verschwunden und mittlerweile kann ich auch wieder deutlich entspannter in der Küche sein.

Bei mir ist es so, dass ich neben den Zwangsgedanken ja auch noch eine diagnostizierte Generalisierte Angststörung habe, die schon vorher da war. Ich glaube, dass es auch dort Zusammenhänge gibt. Ich habe gemerkt, dass die Konfrontationstherapie und die Akzeptanz von Ungewissheit elementar sind, um die Zwänge relativ schnell reduzieren zu können. Mit regelmäßigem Üben klappt das! Dennoch glaube ich, dass es im Folgenden auch in der Therapie sehr wichtig ist, zu schauen, welche Stressoren es im Leben gibt, um diese anzugehen. Für mich persönlich kann ich sagen, dass zudem ein geringes Selbstwertgefühl mit Sicherheit die Empfänglichkeit für Ängste und vor allem auch Zwangsgedanken erhöht. Auch daran muss man arbeiten. Denn ich kann noch nicht sagen, dass ich den Zwang komplett überwunden habe. Wenn man gesunde Rahmenbedingungen in seinem Leben schafft und das persönliche Anspannungsniveau nicht zu hoch ist, dann ist man auch viel widerstandsfähiger gegenüber Ängsten und Zwängen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass man es aus den Zwängen auf jeden Fall rausschaffen kann! Ich habe schon so viele unterschiedliche Zwangsgedanken gehabt und viele davon sind ganz verschwunden. Als nächstes muss ich verstärkt an der Angststörung arbeiten, die mich momentan deutlich mehr belastet als die Zwangsgedanken.

Klar gibt es Gedanken, die deutlich hartnäckiger sind, aber mit der richtigen Therapie, Geduld und der Arbeit an sich selbst kann man auch das mit der Zeit schaffen. Ich habe mich mittlerweile auch damit abgefunden, dass die Symptome vielleicht nie zu 100% weggehen werden, aber mit einer gewissen Restsymptomatik kann man sicherlich leben. Denn ich glaube nervige Gedanken hat doch Jeder, und das jeden Tag.

Marius, 25 Jahre

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