Aggressive Zwangsgedanken: Ein Ratgeber für Betroffene

Von Martin Niebuhr und Burkhard Ciupka-Schön


Hast du aufdringliche Gedanken, die davon handeln, dir selbst oder anderen Schaden zuzufügen? Dann könntest du unter aggressiven Zwangsgedanken leiden. Mithilfe von wissenschaftlich nachgewiesenen Strategien ist diese spezielle Form der Zwänge gut heilbar.

Die meisten Menschen kennen es, schräge, unsinnige oder auch gewalttätige Gedanken zu haben. So schnell wie diese Gedanken gekommen sind, verschwinden sie bei normalen Menschen aber auch wieder. Anders ist das, wenn du unter aggressiven Zwangsgedanken leidest: Unaufhörlich wirst du von furchteinflößenden Gedanken, Bildern und Befürchtungen heimgesucht, die in der Regel davon handeln, wie du anderen Menschen oder dir selbst grundlos Gewalt zufügst. Und ständig fragst du dich, wieso du diese Gedanken hast, was sie bedeuten und wie du verhindern kannst, dass du sie in die Tat umsetzt. Je mehr du dich aber mit diesen unlösbaren Fragen beschäftigst, desto öfter kommen dir diese Gedanken und desto stärker wird deine Anspannung und dein emotionaler Leidensdruck.

Dieser Artikel soll dir helfen zu verstehen, was genau aggressive Zwangsgedanken sind, wie sie entstehen, was sie aufrechterhält und wie du sie mit wissenschaftlich nachgewiesenen Strategien nachhaltig überwindest.

Was sind aggressive Zwangsgedanken?

Aggressive Zwangsgedanken sind aufdringliche, wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen oder Impulse mit gewalttätigen Inhalten. Betroffene haben keine Intention, diese Gewaltfantasien in die Tat umzusetzen, weshalb sie - zumeist erfolglos - versuchen, sich gegen diese Gedanken zu Wehr zu setzen. Weil die Gedanken trotz dessen im Verlauf der Erkrankung immer häufiger und intensiver auftreten, hinterlassen sie eine hohe Anspannung und werden als bedrohlich empfunden.

Die meisten aggressiven Zwangsgedanken handeln davon, sich selbst oder anderen Schaden zuzufügen. Mittelpunkt dieser Vorstellungen sind häufig unschuldige, hilflose oder geliebte Personen, denen du niemals etwas zuleide tun würdest. Gerade aus diesem Grund wirken aggressive Gedanken auf dich so bedrohlich: Sie sind mit deinen Werten und Lebenszielen völlig unvereinbar - und du stellst dir die Frage, wieso gerade du von diesen Gedanken heimgesucht wirst.

Du befürchtest, deine Gedanken könnten etwas über dein wahres Ich aussagen oder du könntest sie gar wahr werden lassen. Genau diese Ungewissheit lässt dir keine Ruhe: Tag für Tag versuchst du, deine Gewaltvorstellungen zu verdrängen oder ihren tieferen Sinn zu ergründen. Vielleicht hast du auch schon alle Messer und spitzen Gegenstände in deiner Umgebung versteckt oder vermeidest alle Personen, um die sich deine Gedanken drehen - aber geholfen hat das alles nicht.

Beispiele für Aggressive Zwangsgedanken

Aggressive Zwangsgedanken können jeden erdenklichen Inhalt haben. Zu den häufigen aggressiven Zwangsgedanken, Impulsen und Vorstellungen zählen folgende:

  • Die Angst, andere verletzen, sie umzubringen oder ihnen schaden
  • Spontane Bilder mit gewalttätigen Inhalten
  • Die Angst, jemanden vergiften zu können (beispielsweise mit Haushaltsmitteln)
  • Die Angst, die Kontrolle zu verlieren und seinen Partner mit dem Messer zu erstechen
  • Der Impuls, jemanden anzugreifen
  • Die Angst, dass man sich selbst verletzen oder umbringen könnte
  • Die Vorstellung, sich selbst von einem Hochhaus stürzen zu wollen
  • Die Angst, jemandem mit einem schlechten Ratschlag nachhaltig zu schaden
  • Die Sorge, dem eigenen Kind/Baby absichtlich oder versehentlich Gewalt anzutun
  • Die Befürchtung, auf jemanden grundlos loszugehen und ihn zu schlagen
  • Die Angst, jemanden aus Versehen mit einem Gerät oder einer Maschine zu verletzen
  • Die Befürchtung, etwas stehlen zu können
  • Die Angst davor, jemanden grundlos zu beleidigen
  • Die Sorge, einen Autounfall zu verursachen oder unbemerkt verursacht zu haben
  • Die Befürchtung, verrückt zu werden und anderen gewalttätig zu schaden
  • Die Angst, die Kontrolle zu verlieren und jemandem Schaden zufügen, den man liebt
  • Der Gedanke, man könnte beim Autofahren durchdrehen und absichtlich in eine Menschenmenge fahren
  • Die Befürchtung, auf einmal laut loszubrüllen oder jemanden grundlos anzuschreien
  • Die Angst, jemandem unbewusst oder im Schlaf Schaden zuzufügen
  • Ungewollte Wünsche (z.B.: „Ich wünschte, mein Kind wäre tot")

Welche Befürchtungen lösen aggressive Zwangsgedanken aus?

Aggressive Zwangsgedanken lösen bei dir Anspannung aus, weil sich hinter ihnen zumeist konkrete Befürchtungen verbergen. Zu den typischen Befürchtungen hinter aggressiven Zwangsgedanken gehören:

  • Die Befürchtung, dass deine Gedanken niemals aufhören werden
  • Die Befürchtung, dass deine Gedanken bedeuten, dass du eine furchtbare oder unmoralische Person bist
  • Die Befürchtung, dass du diese Gedanken in die Tat umsetzen könntest
  • Die Befürchtung, diese Gedanken in der Vergangenheit bereits unbemerkt ausgeführt zu haben

Wie bei anderen Zwängen spielt auch bei aggressiven Zwangsgedanken die Angst vor Ungewissheit eine zentrale Rolle: Du fühlst dich nicht in der Lage, die genannten Befürchtungen mit Sicherheit kontrollieren zu können. Dieser Kontrollverlust löst Angst und Anspannung aus, die du erfolglos versuchst, mit Zwangshandlungen, Vermeidungen und Absicherungsstrategien aufzulösen.

Typische Zwangshandlungen, Vermeidungen und Absicherungsstrategien

Bei Zwängen denkst du vielleicht an Wasch- und Kontrollzwänge, bei denen die Zwangshandlungen (waschen, kontrollieren) für Außenstehende sofort ersichtlich sind. Einige Zwänge spielen sich jedoch ausschließlich im Kopf ab. Man spricht hier von „Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang". Aggressive Zwangsgedanken fallen in diese Kategorie der Zwänge. Auch wenn sie rein mental ablaufen, unterscheiden sie sich in ihrem Wesen und ihrer Systematik nur unwesentlich von anderen Zwängen und sind daher mithilfe der Kognitiven Verhaltenstherapie genauso gut heilbar.

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Wie bei allen anderen Zwängen greifen Betroffene von aggressiven Zwangsgedanken auf problematische Bewältigungsstrategien zurück, mit denen sie versuchen, die oben genannten Befürchtungen zu verhindern oder zu kontrollieren. Wir nennen diese Strategien bewusst „problematisch", denn sie vermitteln den Eindruck, dass sie die Zwangsgedanken auflösen könnten, verursachen langfristig aber genau das Gegenteil. Diese problematischen Bewältigungsstrategien können aufgegliedert werden in Zwangshandlungen, Absicherungsstrategien und Vermeidungen.

Mithilfe von (mentalen) Zwangshandlungen versuchst du aktiv deinen Gedanken, deiner Unruhe und deinen Befürchtungen etwas entgegenzusetzen. Die häufigste Zwangshandlung bei aggressiven Zwangsgedanken ist zwanghaftes Grübeln. Dieses Grübeln hat meist das Ziel, deine Gedanken loszuwerden, sie zu kontrollieren oder dich davon zu überzeugen, dass sie keine Bedeutung haben. Du befindest dich in einer fruchtlosen Endlosschleife aus kurzfristigen Beruhigungen und neuen Zwangsgedanken: „Vielleicht ersteche ich mein Kind. Aber das will ich doch gar nicht, das würde ich niemals wollen. Aber wieso habe ich dann diese Gedanken? Habe ich vielleicht einen unterbewussten Wunsch? Aber ich liebe mein Kind doch!".

Vielleicht hat dir diese Gehirnakrobatik zu Beginn deiner Erkrankungen noch sehr gut funktioniert und vielleicht verschafft sie dir noch immer kurzfristig eine kleine Beruhigung. Langfristig hat sie jedoch ihre Wirkung verloren und deine Zwangsgedanken nicht besiegt. Vermutlich sind deine Zwangsgedanken sogar trotz dessen immer stärker geworden.

Die folgenden mentalen Zwangshandlungen werden typischerweise vergeblich verwendet, um dir die ersehnte Beruhigung zu verschaffen:

Beispiele für mentale Zwangshandlungen:

  • Über die Bedeutung deiner Gedanken grübeln
  • Gedanken verdrängen, kontrollieren oder ersetzen
  • Kontrollieren, ob bestimmte Gedanken oder Gefühle noch da sind
  • Sich ablenken (u.a. auch durch Zählrituale)
  • Sich selbst beruhigend zureden
  • Gedanken argumentativ entkräften
  • Wiederholtes Durchgehen von vergangenen Ereignissen

Neben den rein mentalen können auch sichtbare Zwangshandlungen auftreten. Auch diese haben das Ziel, die Ungewissheit deiner Befürchtungen zu eliminieren.

Beispiele für sichtbare Zwangshandlungen:

  • Kontrollrituale (z.B. das eigene Auto auf Kratzer untersuchen, um herauszufinden, ob man nicht vielleicht jemanden angefahren hat; das gekochte Essen untersuchen, ob man nicht doch spitze Gegenstände hinzugegeben hat)
  • Bei anderen Personen Rückversicherung einholen (bspw. den Ehemann fragen, ob er findet, dass man selbst wegen dieser Gedanken eine schlechte Person ist)
  • Im Internet nach Antworten auf seine quälenden Gedanken suchen

Neben den Zwangshandlungen, mit denen du aktiv versuchst, deine Zwangsgedanken und die damit einhergehenden Befürchtungen und deine Unruhe zu neutralisieren, greifst du höchstwahrscheinlich auch auf Absicherungsstrategien zurück oder vermeidest bestimmte Situationen komplett. Häufig ist der Übergang zwischen Absicherungsstrategien und Vermeidungen fließend

Beispiele für Absicherungsstrategien:

  • Nur im Beisein des Partners das eigene Kind halten (wenn die Befürchtung besteht, dem Kind Schaden zuzufügen)
  • Nur im Beisein einer anderen Person Auto fahren (wenn die Befürchtung besteht, jemanden anzufahren und es nicht zu bemerken)
  • Nur noch stumpfe Messer verwenden

Beispiele für Vermeidungen:

  • Kein Auto mehr fahren (wenn die Befürchtung besteht, jemanden anzufahren und es nicht zu bemerken)
  • Messer und andere spitze Gegenstände komplett verstecken (wenn die Befürchtung besteht, jemandem damit zu schaden)
  • Schädliche Putzmittel aus der Wohnung verbannen (wenn die Befürchtung besteht, diese ins Essen zu mischen)
  • Nicht mehr neben dem Partner schlafen (wenn die Befürchtung besteht, dem Partner im Schlaf zu schaden oder ihn umzubringen)

Jeder Zwang ist anders und damit genauso die Zwangshandlungen, Absicherungsstrategien und Vermeidungen eines jeden Betroffenen. Vielleicht hast du dich in den oben genannten Beispielen wiedergefunden - vielleicht aber auch nicht. Der konkrete Inhalt deiner Zwangsgedanken ist jedoch sowohl für die Therapie als auch für die Heilungsaussichten irrelevant. Die oben genannten Beispiele sollen in erster Linie veranschaulichen, wie Zwangsgedanken und die problematischen Bewältigungsstrategien ineinandergreifen.

Wie entstehen aggressive Zwangsgedanken und wie werden sie aufrechterhalten?

Vielleicht fragst du dich, wieso gerade du unter aggressiven Zwangsgedanken leidest. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Biologische Faktoren
Es gibt Hinweise darauf, dass Betroffene von Zwängen eine genetische Veranlagung für das Ausbilden von Zwangssymptomen haben. Diese genetische Veranlagung heißt nicht zwangsläufig, dass man eine Zwangsstörung entwickelt, aber sie macht sie wahrscheinlicher. Diese Veranlagung kann sich beispielsweise durch eine geringere Toleranz von Ungewissheit äußern: Deine Schwelle bis sich ein Gefühl für Gewissheit oder Vollständigkeit einstellt, liegt bei dir höher als bei anderen Menschen.

Beispielsweise kannst du die Ungewissheit nicht ertragen, nicht zu einhundert Prozent kontrollieren zu können, deine Partnerin nicht mit dem Messer abzustechen. Jedem normalen Menschen gelingt es, diesen Gedanken und die damit einhergehende Befürchtung schnell wieder ziehen zu lassen - obwohl bei ihm prinzipiell die gleiche Ungewissheit besteht. Bei dir ist das anders: Das Gefühl von Gewissheit will sich einfach nicht einstellen. Daher hilft dir auch kein stundenlanges Grübeln oder Kontrollieren.

Bei Menschen mit Zwangsstörungen kann man außerdem mithilfe von Gehirnscans eine Überaktivität bestimmter Regionen feststellen. Die gute Nachricht: Diese Überaktivität ist nicht permanent, sondern kann durch die später vorgestellten Tipps der Kognitiven Verhaltenstherapie dauerhaft abgebaut werden. Weiterhin scheint der Botenstoff Serotonin eine Rolle zu spielen. Dadurch kann erklärt werden, dass auch eine medikamentöse Behandlung mithilfe von SSRIs positive Effekte hat.

Psychologische Faktoren und Lernerfahrungen
Entscheidend für die Entwicklung sind auch psychologische Faktoren wie individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die Erziehung der Eltern, prägende Lebensereignisse, Lernerfahrungen und Lebensumstände. Beispielsweise könntest du eine zu hohe Leistungserwartung oder zu hohe moralische Standards seitens deiner Eltern internalisiert und dir zu eigen gemacht haben. Vielleicht ist dein Zwang auch erst bei einem prägendem Lebensereignis oder bei anderen belastenden Lebensumständen ausgebrochen.

In der Regel führt die Kombination aus biologischen und psychologischen Faktoren zum Ausbruch einer Zwangserkrankung. Was aber auch immer die Entstehungsgründe für deinen Zwang waren - du hast dir diese Erkrankung nicht ausgesucht. Sie ist daher weder das Ergebnis eines schwachen Charakters noch trifft dich eine Schuld daran.

Wie werden aggressive Zwangsgedanken aufrechterhalten?
Wichtig ist, dass es zwar Gründe für die Entstehung deines Zwangs gab, diese aber für die Behandlung deiner Zwangsgedanken größtenteils irrelevant sind - ähnlich wie es für einen Raucher, der mit dem Rauchen aufhören möchte, irrelevant ist, wieso er mit dem Rauchen angefangen hat.

In dem Moment, in dem dich zum ersten Mal aggressive Zwangsgedanken begegnet sind, wusstest du dir nicht besser zu helfen als zu versuchen, deine Gedanken loszuwerden, ihnen eine negative Bedeutung zuzuschreiben und sie zu kontrollieren. Paradoxerweise hat genau das erst dazu geführt, dass deine Zwangserkrankung so richtig ausgebrochen ist und auch weiterhin aufrechterhalten wird.

Wahrscheinlich hast du bereits die Erfahrung gemacht, dass die oben genannten problematischen Bewältigungsstrategien (Zwangshandlungen, Vermeidungen, Absicherungsstrategien) dir vielleicht kurzfristig Beruhigung verschafft haben, aber gleichzeitig dazu geführt haben, dass deine Zwangsgedanken und deine Anspannung langfristig immer stärker wurden. Alle deine Bewältigungsversuche haben bisher nicht funktioniert, sondern das Gegenteil bewirkt: Je mehr du gegen deine Gedanken kämpfst, desto stärker verbeißen sie sich. Das ist auch der Grund, weswegen Zwangsgedanken trotz aller Mühe und Anstrengung nicht einfach so verschwinden. Je mehr Energie du auf den Kampf gegen sie aufwendest, desto stärker kämpfen sie zurück.

Wirksame Strategien gegen aggressive Zwangsgedanken

Wie du festgestellt hast, hat dir dein bisheriger Umgang mit deinen Zwangsgedanken nicht nur keine Linderung verschafft, sondern sie erstrecht verstärkt. Es gilt also, einen anderen Umgang mit deinen Zwangsgedanken zu entwickeln. Dabei gibt es nicht den einen geheimen Tipp, der dich automatisch von deinen Zwangsgedanken befreit. Wenn es den gäbe, dann wären Zwänge für die ca. 2 Millionen Betroffenen in Deutschland kein Problem und sehr einfach zu therapieren.

Stattdessen geht es darum, einen neuen Umgang mit deinen Zwangsgedanken zu entwickeln, mit dem du lernst, Zwangsgedanken und alle ihre möglichen Bedeutungen zu akzeptieren, ohne mit ihnen zu interagieren. Denn wie oben gezeigt führt erst die Interaktion mit deinen Zwangsgedanken zu ihrer Aufrechterhaltung.

Die Tipps, die wir nun vorstellen, haben das Ziel, den gesunden Umgang mit Zwangsgedanken mithilfe verschiedener Strategien und aus verschiedenen Blickwinkeln neu zu erlernen. Diese Strategien basieren auf der Kognitiven Verhaltenstherapie einschließlich Exposition und Reaktionsverhinderung - der einzigen nachgewiesenen psychotherapeutischen Intervention bei der Behandlung von Zwängen.

Teil 1: Erkenne und korrigiere deine Fehlbewertungen

Im ersten Teil geht es darum, alle Fehlbewertungen aufzuspüren, die deinen Zwang am Leben halten und verstärken. Fehlbewertungen - oder auch kognitive Verzerrungen - sind falsche Glaubenssätze, die du in Bezug auf deine Zwangsgedanken hast. Die Aufdeckung und Korrektur dieser Fehlbewertungen hilft dir, deinen Zwang besser zu verstehen und bereitet dich darauf vor, dich später deinen Ängsten und Befürchtungen zu stellen.

Hör auf, deine Gedanken zu stoppen oder zu kontrollieren
Unsere Gedanken sind Teil der menschlichen Kreativität und können nicht gestoppt oder kontrolliert werden. Studien zeigen, dass 90% aller Menschen die gleichen aggressiven oder perversen Gedanken haben wie Menschen mit Zwangserkrankungen. Der Unterschied ist, dass normale Menschen diesen Gedanken keine Bedeutung beimessen und sich daher von ihnen nicht irritieren lassen. Erst dein aktives Kontrollieren, Steuern, Stoppen und Ersetzen von Gedanken macht sie zum Problem. Denn genau dieses Vorgehen führt dazu, dass diese Gedanken noch häufiger kommen (Spezialisten sprechen hier vom „Rebound-Effekt" oder vom „Paradoxical Effort"). Und kommen die Gedanken noch häufiger, führt das wiederum zu der Fehlbewertung, dass die Gedanken wirklich etwas bedeuten könnten. Wie du siehst, beißt sich hier die Katze in den Schwanz.

Unsere Empfehlung: Nimm deine Gedanken so an wie sie sind und versuche nicht, sie zu stoppen oder zu kontrollieren.

Erkenne, dass deine Aufmerksamkeit voreingenommen ist
Hast du dir schon mal ein neues Paar Schuhe gekauft und dich anschließend gewundert, wie viele Leute mit den gleichen Schuhen herumlaufen? Bestimmt hast du erkannt, dass nun nicht auf einmal mehr Leute als vorher diese Schuhe tragen - viel eher richtet sich nun deine Aufmerksamkeit auf genau dieses Paar Schuhe. Genauso verhält es sich auch mit deinen Zwangsgedanken. Genauso wie du deine Umgebung nach den gleichen Schuhen musterst, beobachtest du in deinem eigenen Gedankenstrom alle aggressiven Zwangsgedanken. Dass du deine Zwangsgedanken so oft wahrnimmst, liegt also auch daran, dass du sie genau unter der Lupe hast.

Unsere Empfehlung: Erkenne, dass du Zwangsgedanken auch deshalb häufiger auftreten, weil du sie sehr genau beobachtest.

Das Denken deiner Zwangsgedanken erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass du sie in die Tat umsetzt
Vielleicht hast du die Befürchtung, dass das Denken deiner Zwangsgedanken die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass du sie in die Tat umsetzt. An dieser Stelle können wir dich beruhigen: Diese Befürchtung hat keine Grundlage. Ein wichtiger Grundsatz der Psychologie und Kriminologie ist, dass der beste Schätzer für zukünftiges Verhalten eines Menschen sein vergangenes Verhalten ist. Menschen mit aggressiven Zwangsgedanken haben in der Regel auch in der Vergangenheit ihre Gedanken nicht in die Tat umgesetzt und sie sind keine Ausnahme von diesem Grundsatz: Es gibt keine Hinweise darauf, dass Menschen mit aggressiven Zwangsgedanken vermehrt zu Gewalt neigen oder dass sie ihre Zwangsgedanken in die Tat umsetzen.

Unsere Empfehlung: Habe keine Angst, deine Gedanken zu denken, denn sie beeinflussen nicht die Realität.

Lerne, Ungewissheit zu akzeptieren
Gewissheit ist ein Gefühl - kein Fakt. Bei Betroffenen von Zwangserkrankungen ist dieses Gefühl aus dem Gleichgewicht geraten. Nicht wissen zu können, was deine aggressiven Zwangsgedanken nun wirklich bedeuten und ob du sie in die Tat umsetzen könntest, lässt dich nicht zur Ruhe kommen. Und die damit einhergehende Angst und Anspannung versuchst du durch das Erreichen absoluter Gewissheit zu neutralisieren. Du versuchst, mithilfe von Logik deine Gefühle zu verändern - was nicht funktioniert. Es muss also ein anderer Ansatz her: Zu lernen, das Gefühl von Ungewissheit und Anspannung zu tolerieren - ohne etwas dagegen zu unternehmen. Dein emotionales Verhältnis zur Ungewissheit normalisiert sich dadurch über die Zeit wieder von alleine.

Falls du glaubst, deine Intoleranz gegenüber der Ungewissheit, die aggressive Zwangsgedanken auslösen, sei gerechtfertigt, dann lass uns drei Gegenargumente anführen: 1. Nahezu alle normalen Menschen haben Gedanken aggressiver Natur - allerdings ist deren Gefühlswelt nicht gestört. Ohne es zu merken, fühlen sie mit Gewissheit, dass diese Gedanken für sie irrelevant sind und verspüren daher nicht den Drang, der Bedeutung dieser Gedanken nachzugehen. 2. Vermutlich hattest du bereits vor deiner Zwangserkrankung wie fast jeder andere Mensch aggressive Vorstellungen - allerdings ohne die emotionale Reaktion. Es liegt also der Schluss nahe, dass deine Intoleranz von Ungewissheit im Laufe deiner Zwangserkrankung antrainiert wurde. 3. Deine Zwangsgedanken beschränken sich vermutlich nur auf ein oder wenige Themen. Dabei steckt Ungewissheit in jedem Teil unseres Lebens. Wir fahren mit dem Auto zur Arbeit und könnten jederzeit dabei umkommen. Wir schlafen ruhig mit dem Gefühl, dass uns bei einem Feuer der Feuermelder früh genug wecken wird. Deine Intoleranz von Ungewissheit in Bezug auf deine aggressiven Gedanken erscheint in Anbetracht aller Unwägbarkeiten des Lebens daher irrational einseitig.

Uns geht es nun nicht darum, dich mit logischen Argumenten zu überzeugen, dass deine emotionale Reaktion auf deine Zwangsgedanken keinen Sinn macht. Das weißt du vermutlich selbst. Vielmehr sollte es dir darum gehen, zu erkennen, dass dein eigenes Gefühl für Gewissheit zum aktuellen Zeitpunkt aus dem Gleichgewicht geraten ist und du dich nicht bedingungslos darauf verlassen solltest. Stattdessen sollte es dein Ziel sein, das Gefühl von Anspannung und Ungewissheit tolerieren und akzeptieren zu können ohne Zwangshandlungen auszuführen. Dadurch wird sich auch dein emotionales Verhältnis zur Ungewissheit wieder normalisieren.

Ungewissheit tolerieren zu lernen, ist eines der wichtigsten - aber auch schwierigsten - Ziele zur Überwindung deines Zwangs. Falls dir dieser Schritt schwerfallen sollte, empfehlen wir dir, einen Blick in die später genannten Selbsthilfebücher zu werfen oder dieses Ziel zusammen mit einem Therapeuten zu erarbeiten.

Unsere Empfehlung: Hör auf, dich alleine auf dein Gefühl von Gewissheit zu verlassen und lerne, Ungewissheit und die damit einhergehende Anspannung zu tolerieren, ohne sie zwanghaft zu neutralisieren.

Aggressive Zwangsgedanken machen dich nicht zu einem schlechten Menschen
Vielleicht denkst du, dass du ein schlechter Mensch bist, weil du unter solch abscheulichen Gedanken leidest. Vielleicht denkst du auch, du hättest eine versteckte „dunkle Seite" in dir, die sich durch deine Zwangsgedanken immer wieder auf sich aufmerksam macht. Wie bereits beschrieben haben nahezu alle Menschen Gedanken dieser Art. Deine Gedanken machen dich daher weder zu einem besseren noch zu einem schlechteren Menschen.

Der Unterschied zu Nicht-Betroffenen ist, dass du deinen Gedanken eine Bedeutung beimisst -beispielsweise indem du die Befürchtung hast, sie würden etwas über deinen Charakter aussagen. Vermutlich ist aber eher das Gegenteil wahr: Zwangsgedanken drehen sich meist um Themen, die einem besonders wichtig sind oder die man als besonders abstoßend erachtet. Vermutlich bist du ein Mensch, der Gewalt gegen Unschuldige zutiefst ablehnt und dir daher solche Gedanken große Angst machen. Zwangsgedanken sind das Gegenteil dessen, über das wir eigentlich nachdenken wollen und sie drehen sich um das Gegenteil deiner Werte.

Der Grund, weswegen sich dein Kopf ständig um deine Gedanken kreist, ist dein Schwarz-Weiß-Denken. Du befürchtest, dass solange du diese Gedanken im Kopf hast, du auf einer Stufe bist mit einem verurteilten Mörder, der seine Tat wirklich ausgeführt hat. Hingegen wünscht du dir, dass deine Gedanken und Befürchtungen gar nicht da wären und im Einklang mit deiner tatsächlichen Schuldfreiheit stünden. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte: In Realität bist du vermutlich weder Mutter Theresa noch ein Serienmörder. Diese Realität gilt es zu akzeptieren.

Aggressive Gedanken sind Teil des Menschseins - und man kann sogar von der Kreativität solcher Gedanken profitieren. In vielen Thrillern des Bestseller-Autors Stephen King spielen gewalttätige Inhalte eine zentrale Rolle, die viele Leser faszinieren. Der Unterschied zwischen Stephen King und dir ist, dass du dich von deinen Zwangsgedanken einschüchtern lässt, während Stephen King mit ihnen Millionen verdient. Sind er und seine Leser aufgrund dieser Faszination nun schlechte Menschen?

Können deine aggressiven Zwangsgedanken nicht trotzdem etwas über dein inneres Wesen aussagen? Ja und nein. Menschen sind Wesen mit gemischten und widersprüchlichen Ideen, Gedanken und Impulsen. Wenn du den Impuls verspürst, eine Gewalttat auszuführen, dann ist dieser Impuls real. Genauso ist dein Gefühl wahr, von dieser Gewalttat abgeschreckt zu sein. Das alles unterscheidet dich nicht vom Rest der Menschheit. Was dich unterscheidet ist, dass du diesen Impuls nicht akzeptieren kannst und stattdessen versuchst, ihn zu unterdrücken und zu neutralisieren, während die meisten normalen Menschen solche Impulse in der Regel nicht einmal bemerken.

Unsere Empfehlung: Akzeptiere, dass deine Gedanken und Impulse vorhanden sind und jede Bedeutung haben könnten. Kämpfe nicht gegen sie an und versuche nicht, sie aufzulösen.

Akzeptiere deine Gefühle
Wenn du aggressive Zwangsgedanken hast, hast du vermutlich mit einer Vielzahl von negativen Emotionen zu tun: Du fühlst dich angespannt und ängstlich, weil du nicht weißt, was diese Gedanken bedeuten und du fühlst Schuld und Scham für deine Gedanken. Diese Emotionen sind für dich kaum auszuhalten, weswegen du versuchst, sie mit den oben genannten problematischen Bewältigungsstrategien loszuwerden oder zu vermeiden. Das Problem dabei ist: Gefühle können von uns Menschen nicht direkt beeinflusst werden. Zur Überwindung deines Zwangs ist es daher hilfreich, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man beeinflussen kann. Wie beispielsweise die in diesem Artikel genannten Strategien.

Unsere Empfehlung: Akzeptiere deine Emotionen wie sie sind und versuche nicht, sie zu verändern oder loszuwerden.

Erkenne, dass dich deine Gefühle fehlleiten können
„Es fühlt sich so an, also muss es wahr sein." Wenn du das denkst, dann ist es gut möglich, dass dich deine Emotionen fehlleiten - man spricht hier von emotionaler Beweisführung. Die korrigierte Version müsste heißen: „Es fühlt sich so an, also kann es wahr sein". Unsere Emotionen sind nur eins der vielen Signale, die wir Menschen in unserer Entscheidungsfindung berücksichtigen - neben beispielsweise unserem eigenen Verstand und allen anderen Sinnen.

Gefühle schlagen gelegentlich falschen Alarm und bei Betroffenen von Zwangsstörungen sind diese Fehlsignale ein integraler Teil der Symptomatik. Dein Zwang will dir vielleicht einreden, schuld zu sein oder Angst haben zu müssen. Vielleicht hast du auch ein zweifelbehaftetes Gefühl der Ungewissheit. Es kann aber sein, dass deine Emotionen keinerlei Bedeutung haben.

Unsere Empfehlung: Akzeptiere, dass Emotionen Fehlsignale sein können - erstrecht, wenn du sie auf gedanklicher Ebene nicht nachvollziehen kannst.

Hinweise zu Fehlbewertungen und kognitiven Strategien
Die bisherigen Tipps haben offengelegt, welche Denkfehler deine Zwangsgedanken unterstützt haben. Die Erkenntnis dieser Denkfehler hat deinen Zwangsgedanken wahrscheinlich bereits etwas Wind aus den Segeln genommen und unsere Empfehlungen haben dir eine erste Richtung gezeigt, in die sich deine Einstellung verändern muss, wenn du deinen Zwang überwinden willst.

Im Mittelpunkt dieser neuen, gesünderen Einstellung steht die Akzeptanz der Ungewissheit deiner zwanghaften Befürchtungen, deiner Gefühle und deiner Zwangsgedanken. Wir sind natürlich nicht so naiv und behaupten, diese Akzeptanz wäre leicht zu erreichen. Aber sie ist notwendig, damit du dich langfristig von deinem Zwang befreien kannst.

Am Ende dieses Artikels findest du einige Buchempfehlung, die genauer auf die Korrektur von Fehlbewertungen eingehen und außerdem effektive kognitive Strategien enthalten, die dir helfen, diesen neuen Umgang mit deinen aggressiven Zwangsgedanken zu fördern.

Zuletzt wollen wir folgenden Hinweis geben, der vielleicht etwas paradox wirken kann: Alle bisher vorgestellten Strategien sollten nie mit der Absicht verwendet werden, dich in absoluter Gewissheit zu wiegen. Jeder Versuch, eine absolute Gewissheit herzustellen, ist eine (mentale) Zwangshandlung, die niemals ihr Ziel erreichen wird. Verwende die Tipps daher nicht, um deine Gefühle oder Gedanken aufzulösen. Die Aufdeckung deiner Fehlbewertung dient in erster Linie dem Ziel, dir klarzumachen, dass sich dein Denken und deine Gefühle von der Realität abgekoppelt haben und dass du dich nicht noch weiter in ihnen verstricken solltest. Im Zweifel hilft folgender Test: Verwendest du eine der genannten Strategien, um Gewissheit herzustellen oder verwendest du sie, um Ungewissheit zu akzeptieren. Eine Strategie ist nur dann hilfreich, wenn sie dir hilft, Ungewissheit zu akzeptieren und dich deinen Ängsten zu stellen.

Teil 2: Stelle dich deinen zwanghaften Ängsten und Befürchtungen

Die Erkenntnisse aus dem ersten Teil sollten dazu beigetragen haben, deinen Zwang besser zu verstehen und eine gesündere Einstellung zu Ungewissheit zu entwickeln. Nun gilt es, diese Erkenntnisse auch in die Tat umzusetzen.

Vielleicht hast du die Hoffnung, dass alleine die kognitiven Erkenntnisse bereits ausreichen, um deine Anspannung aufzulösen. Leider ist es aber damit nicht getan. Die Verarbeitung deiner Emotionen läuft in Gehirnarealen ab, die für dein Bewusstsein nicht zugänglich sind - daher konnten dir auch bisher keine Grübeleien und andere mentalen Zwangshandlungen helfen. Logische Erkenntnisse verändern keine Gefühle, aber sie helfen dir, dich trotz deiner belastenden Gefühle für die Akzeptanz von Ungewissheit und einen gesünderen Umgang mit deinem Zwang zu entscheiden.

Der gesündere Umgang mit deinem Zwang erfordert, dich den Dingen zu stellen, die bis jetzt eine Anspannung in dir auslösen und die Dinge abzustellen, mit denen du versuchst, diese Anspannung abzubauen. Über die Zeit stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. Experten sprechen hier auch von „Habituation". Die Kernaussage dieser effektiven und nachgewiesenen Strategie ist folgende: Je öfter und länger du dich deinen angstauslösenden Triggern stellst ohne Vermeidungen, Absicherungsstrategien oder Zwangshandlungen nachzugehen, desto stärker nimmt deine Angst gegenüber diesen Triggern langfristig ab.

Wenn du dich deinen Zwangsgedanken offensiv stellst, wird deine Anspannung höchstwahrscheinlich erstmal zunehmen. Gehst du aber keinen Vermeidungen, Absicherungsstrategien oder Zwangshandlungen nach, wird diese Anspannung ab einem gewissen Punkt automatisch nachlassen. Ziel ist es, möglichst oft in diesen Bereich der nachlassenden Anspannung zu gelangen, damit dein emotionales System eine positive Lernerfahrung gegenüber deinen angstauslösenden Triggern macht. Niemand sagt, dass dieses Vorgehen leicht für dich sein wird - aber es ist notwendig, um deinen Zwang langfristig zu überwinden.

Unterlasse deine (mentalen) Zwangshandlungen
Willst du deinen Zwang nachhaltig überwinden, muss es dein Ziel sein, deine Zwangshandlungen und Grübeleien zu unterlassen. Nach jedem Zwangsgedanken stehst du vor zwei Alternativen: Willst du deinem Zwang seine Daseinsberechtigung zugestehen oder möchtest du Ungewissheit in deinem Leben akzeptieren.

Führst du die Zwangshandlung aus oder fängst du an zu grübeln, gibst du deinem Zwang auftrieb. Du gibst seinen Forderungen nach und du unterstützt die Idee, dass erst eine hundertprozentige Gewissheit und die Auflösung deiner Gedanken dir Beruhigung geben kann. Dass diese Strategie fruchtlos ist und deinen Zwang langfristig nicht löst, hast du bereits am eigenen Leib erfahren.

Die Alternative ist, deinem Zwang die rote Karte zu zeigen und seine Forderungen zu ignorieren - auch wenn es dir schwerfällt. Je öfter du es schaffst, dich deinem Zwang zu widersetzen und Ungewissheit in deinem Leben zu akzeptieren, desto leichter wird dir das zukünftig fallen. Sieh es wie eine Sporteinheit: Jedes Training macht dich stärker und widerstandsfähiger.

Konkret heißt das Abstellen von Zwangshandlungen unter anderem folgendes:

  • Aufhören, seine Gedanken zu stoppen und zu kontrollieren oder sich von ihnen abzulenken
  • Aufhören, darüber nachzudenken, was deine Gedanken bedeuten können oder ob sie wahr werden können
  • Aufhören, im Internet oder bei Mitmenschen nach Rückversicherung zu suchen
  • Kontrollrituale zur Verhinderung übertriebener Befürchtungen aufgeben

Die Zwangshandlungen sind immer von Person zu Person verschieden. Das Ziel sollte sein, alle deine identifizierten Zwangshandlungen zu unterlassen.

Zugegeben ist es sehr schwer, insbesondere die mentalen Zwangshandlungen abzustellen. Viele Grübeleien laufen inzwischen hochautomatisiert ab und logischerweise kann man diese hochautomatisierten Gedankengänge schwerer unterlassen als tatsächliche Handlungen. Falls das bei dir zutrifft, findest du in den am Ende des Artikels empfohlenen Büchern hilfreiche Strategien dazu.

Gib deine Vermeidungen und Absicherungsstrategien auf
Vermutlich haben sich in dein Leben bereits einige Vermeidungen eingeschlichen. Hast du beispielsweise Angst, jemanden mit dem Messer zu erstechen, hast du vielleicht alle deine Messer aus dem Haushalt verbannt. Wenn du Angst hast, mit dem Auto jemanden zu überfahren, hat dich dein Zwang vielleicht auch schon dazu gebracht, gar nicht mehr am Steuer zu sitzen. Oder falls du Angst hast, deinem eigenen Kind Schaden zuzufügen, lässt du nur noch dein Partner dein Kind anfassen - aus Furcht du könntest ihm etwas antun.

Du bist dir deiner Vermeidungen höchstwahrscheinlich bestens bewusst. Im therapeutischen Prozess gegen deinen Zwang ist es notwendig, diese Vermeidungen aufzugeben - auch wenn du dich nicht danach fühlst. Mit jeder Vermeidung, die du wieder in dein Leben integrierst, zeigst du deinem Zwang, dass du dein Leben nicht von ihm bestimmen lässt. Das wiederum verschafft dir das Selbstbewusstsein, dein Leben selbst in der Hand zu haben und Ungewissheit in deinem Leben zu akzeptieren.

Erkenne ineffektive Bewältigungsstrategien
Vermutlich greifst du auf einige Bewältigungsstrategien zurück, die bei aggressiven Zwangsgedanken einfach nicht helfen können. Dazu gehört beispielsweise die generelle Vermeidung von Stress, exzessives Arbeiten, eine Umstellung der Ernährung, exzessive sportliche Betätigung, Meditation oder Atemübungen. Diese Tätigkeiten sind an sich natürlich nicht schlecht, aber sie sind keine Lösung für deine Zwangsgedanken. Du solltest diese Strategien also nicht mit der Absicht verwenden, deine Zwangsgedanken oder deine Anspannung loszuwerden. Erinnere dich daran, dass es dein Ziel sein sollte, deine Gedanken, deine Anspannung und deine Befürchtungen ertragen zu können, ohne etwas gegen sie zu unternehmen.

Stelle dich deinen Befürchtungen mit imaginativen Expositionen
Expositionen sind die Königsdisziplin bei der Behandlung von aggressiven Zwangsgedanken. Bei Expositionen stellst du dich angstauslösenden Zwangsgedanken und anderen Triggern ohne Zwangshandlungen auszuführen. Ziel ist es, dass sich dein emotionales System durch die oben genannte Habituation an die Gedanken und an die Angst gewöhnt, sodass du immer weniger darauf reagierst.

Bei aggressiven Zwangsgedanken kommen insbesondere imaginierte Expositionen zum Einsatz, bei denen es darum geht, sich die befürchteten Szenarien im Kopf vorzustellen. Hast du beispielsweise Angst, deine Partnerin mit dem Messer zu erstechen, dann ist es das Ziel, sich dieses Szenario so genau wie möglich auszumalen. In der Praxis verwendet man dafür sogenannte Therapie-Skripte. Hier beschreibst du detailliert dein befürchtetes Szenario aus der Ich-Perspektive. Für die Exposition solltest du dann dieses Skript wiederholt durchlesen, laut vorlesen und eine Aufnahme davon erstellen und dir vorlesen lassen. Der Beginn eines solchen Skripts könnte wie folgt aussehen: „Ich stehe mit meiner Frau zusammen in der Küche und wir kochen zusammen. Auf einmal überkommt mich ein Impuls, mit dem scharfen Küchenmesser auf meine Frau loszugehen und ihr das Messer in den Leib zu rammen. Sie schreit laut und alles ist voller Blut...".

Höchstwahrscheinlich widerstrebt dir diese Form der Exposition erst einmal massiv: Wie soll dir das Denken solch schlimmer Gedanken helfen, deinen Zwang zu überwinden? Bedenke jedoch, dass du aktuell genau das Gegenteil machst: Durch den Versuch, deine Gedanken aus deinem Kopf zu verbannen oder sie zu kontrollieren hast du deinen Zwang und die Angst vor diesen Gedanken immer weiter gefüttert. Das Ziel ist, diese Gedanken - die jeder Mensch hat - als normal zu erachten und zu empfinden. Imaginierte Expositionen helfen dir dabei. Bedenke außerdem, dass Expositionen das einzige wissenschaftlich nachgewiesene Verfahren gegen Zwangsgedanken sind, das von allen namhaften Spezialisten und Organisationen als Therapie der ersten Wahl empfohlen sind.

Stelle dich deinen Befürchtungen mit realen Expositionen
Zwar sollten imaginative Expositionen deine Hauptarbeit in der Therapie sein, aber soweit möglich sollten auch Expositionen mit realen Triggern wahrgenommen werden. Material dafür gibt in Filmen, Büchern, Zeitungsartikeln, Bildern oder anderen Quellen. Hast du beispielsweise Angst, deinen Partner mit dem Messer zu erstechen, such explizit im Internet nach News-Artikeln, wo genau das passiert ist.

Befürchtungen und Trigger sind natürlich von Person zu Person verschieden. In folgender Liste findest du etwas Inspiration:

  • Gewalttätige Filme, Serien und Fernseh-Nachrichten ansehen
  • Bücher mit gewalttätigen Inhalten lesen
  • Bilder mit gewalttätigen Inhalten anschauen
  • Am Polizeirevier vorbeigehen oder sich mit Polizisten unterhalten
  • Kindern begegnen oder etwas mit ihnen unternehmen (als potentielle Opfer)
  • Potentielle Waffen ansehen und anfassen (Messer, Scheren, Schraubenzieher, Hammer, Seile, ...)
  • Wörter durchlesen, die mit Gewalt assoziiert werden (Tod, Mord, Gift, Opfer, Kinder, ...)
  • Orte aufsuchen, bei denen du befürchtest, Gewaltverbrechen zu begehen

Hinweise zur Aufgabe von problematischen Bewältigungsstrategien
Behalte immer im Hinterkopf, dass Exposition und die Aufgabe von Vermeidungen und Zwangshandlungen nie das Ziel haben sollten, dir zu beweisen, dass die Möglichkeit deiner Befürchtungen absolut ausgeschlossen ist. Es ist ein Gesetz der Natur, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Niemand kann uns garantieren, dass wir nicht morgen vom Bus überfahren werde. Und niemand wird dir jemals garantieren können, dass deine Befürchtungen absolut niemals eintreten werden. In die Zukunft zu schauen, ist faktisch unmöglich - und diesen Fakt müssen wir alle lernen zu akzeptieren. Die Frage, die du dir stellen solltest, ist: Willst du weiterhin den illusorischen Wunsch haben, die Zukunft um jeden Preis wissen zu wollen, oder willst du lernen, dein Leben im Hier und Jetzt zu genießen und die Zukunft auf dich zukommen zu lassen?

Halte dir dabei aber gleichzeitig vor Augen, dass keine Fälle bekannt sind, dass Betroffene von aggressiven Zwangsgedanken jemals ihre Gedanken tatsächlich in die Tat umgesetzt haben. Expositionen führen auch nicht dazu, dass sich das ändert: Wenn das so wäre, dann würden Tausende von Psychotherapeuten nicht täglich genau diese Expositionen mit ihren Klienten durchführen. Wieso solltest du davon also die Ausnahme sein? Jeder Mensch mit aggressiven Zwangsgedanken würde nun sagen: "Weil es sich so wahr anfühlt" (emotionale Beweisführung). Ja, es fühlt sich vielleicht wahr an - das liegt aber daran, dass du unter einer psychischen Erkrankung leidest und sich deine Gefühle aufgrund dieser Erkrankung von der Realität abgekoppelt haben. Sie entsprechen nicht der Realität!

Deine Anspannung wird sich nach vielen Expositionen deutlich verringern - und dir wird immer klarer werden, dass deine Befürchtung nur ein Hirngespinst ist, das dir bisher nur Angst gemacht hat, weil es mit dir als Person einfach absolut unvereinbar ist. Das generelle Ziel von Expositionen ist daher, deine emotionale Reaktion gegenüber deinen Triggern langfristig zu verringern, indem du dich ihnen kurzfristig stellst. Dadurch wird es dir gelingen, eine Attitüde der Akzeptanz gegenüber deinen aggressiven Zwangsgedanken und deinen Emotionen zu entwickeln.

Die vorgeschlagenen Strategien werden dich auch nicht sofort von deinem Leid befreien. Sie vermitteln dir eine langfristig gesündere Betrachtungsweise gegenüber deinen Zwangsgedanken und geben dir Werkzeuge an die Hand, wie du diese gesündere Betrachtungsweise sowohl kognitiv als auch emotional in dein Leben integrierst. Auf Sicht von Wochen und Monaten wirst du von diesem neuen Umgang profitieren und deine Zwangsgedanken und deine Anspannung werden beginnen, nachzulassen. Kurzfristig wird sich deine Anspannung jedoch aufgrund der Aufgabe von Zwangshandlungen und Vermeidungen und ausgelöst durch die Expositionen vermutlich erhöhen. Dieser Prozess ist normal. Wäre es anders, hättest du dich bereits selbst von deinen Zwangsgedanken befreit.

Zur Überwindung deiner Zwangsgedanken ist es daher notwendig, dass du kontinuierlich am Ball bleibst und dass diese Strategien ein Teil deines Alltags und deines neuen Lebens werden. Es ist hier wie bei der Ernährung: Eine Blitzdiät bringt kurzfristig viel, aber mittelfristig wirst du Opfer vom Jojo-Effekt. Erst ein nachhaltiger Umstieg auf eine gesündere Ernährung führt zur langfristigen Gewichtabnahme. Genauso verhält es sich auch mit deinen Zwangsgedanken.

Für den Übergang kann dir folgende Strategie helfen: Stell dir vor, du hättest einen Zwilling, der keinen Zwang hat. Dein Ziel sollte es sein, dich genauso zu verhalten wie er - auch wenn du dich jetzt noch nicht danach fühlst. Genauso wie sich jemand mit Übergewicht verhält, der langfristig abnehmen möchte: Er hat zwar noch Übergewicht, aber er ernährt sich bereits so gesund wie jemand mit Normalgewicht. Dein Motto sollte also sein: „Fake it till you make it".

Weitere Hilfe gegen aggressive Zwangsgedanken

Wir hoffen, dass wir dir in diesem Artikel einige hilfreiche Strategien gegen deine aggressiven Zwangsgedanken mitgeben konnten. Es ist aber völlig normal, dass du dich trotz dessen überfordert fühlst. Wir wollen dir daher noch einige hilfreiche Möglichkeiten aufzeigen, die dich beim Kampf gegen den Zwang unterstützen.

Selbsthilfebücher
Es gibt für aggressive Zwangsgedanken einige sehr hilfreiche Selbsthilfebücher. Auch dieser Artikel orientiert sich zum Teil daran. Für Zwangsgedanken empfehlen wir insbesondere die folgenden zwei Bücher:

OCD Land-App
Wir selbst bieten auf OCD Land eine webbasierte App an, die dich beim Kampf gegen den Zwang unterstützt. Für aggressive Zwangsgedanken ermöglicht die App beispielsweise die sehr einfache Erstellung von Expositionsskripten. Diese Skripte kannst du dir für die Exposition auch von einer Computerstimme vorlesen lassen oder eigene Aufnahmen erstellen. Erfahre hier mehr über die Funktionen der OCD Land-App.

Weitere Inhalte im Internet
Es gibt zahlreiche weitere Inhalte im Internet, die dir weiterhelfen können. Hier eine kurze Auflistung:

Psychotherapie
Es ist völlig normal, dass du dich mit deinen Zwangsgedanken überfordert fühlst. Ein Psychotherapeut kann dich bei der Therapie deines Zwanges unterstützen. Erfahre in diesem Artikel, wie du den richtigen Therapeuten findest.

Medikamente
Der positive Effekt durch die Einnahme von Medikamenten (SSRI) ist bei Zwängen wissenschaftlich belegt. Erfahre in diesem Artikel mehr über Medikamente.

Kontakt zu anderen Betroffenen
Mit einer Zwangserkrankung fühlt man sich oft alleine. Dabei gibt es alleine in Deutschland ca. 2 Millionen weitere Betroffene. Eine gute Anlaufstelle für den Austausch ist unser Instagram-Kanal. Neben zahlreichen Tipps und Tricks gegen Zwangsstörungen triffst du hier auf eine aktive Community, deren Mitglieder genau wissen, wie sich dein Leid anfühlt, die offen über ihre Schwierigkeiten sprechen und mit denen du in Kontakt treten kannst. Alternativ kannst du über eine Selbsthilfegruppe Kontakt zu anderen Betroffenen aufnehmen. Die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen hilft dir bei der Suche nach Selbsthilfegruppen.

Schlussbemerkung

Wir hoffen, dir eine gute Übersicht und viele hilfreiche Tipps gegen deine aggressiven Zwangsgedanken vermitteln zu können. Zwänge können das eigene Leben erheblich einschränken - aber es gibt allen Grund zur Hoffnung. Weder bist du ein schlechter Mensch, noch geht von dir eine Gefahr für die Menschheit aus. Was dich vom Rest der Menschheit unterscheidet, ist, dass du durch eine Kombination aus biologischer Vorbelastung, deinen Lebenserfahrungen und etwas Pech in den Teufelskreis Zwang geraten ist, der ohne die richtigen Kenntnisse und Hilfe nur schwer zu durchbrechen ist.

In Form der Kognitiven Verhaltenstherapie einschließlich Exposition und Reaktionsverhinderung gibt es allerdings erwiesenermaßen effektive Strategien, die dir helfen, aus diesem Teufelskreis auszusteigen und einen neuen, gesünderen Umgang mit deinen Gedanken zu helfen. Diese Methoden sollten zu einem Teil deines Alltags für dein neues, gelasseneres Lebens werden. Dieses gelassenere Leben kommt aber nicht ohne einen Preis. Sich Expositionen zu stellen und die eigenen Zwangshandlungen und Vermeidungen zu unterlassen ist ein anstrengender und langwieriger Prozess. Wir hoffen aber dennoch, dich in diesem Artikel motiviert zu haben, diesen Schritt zu gehen und Ungewissheit in deinem Leben zu akzeptieren.

Über die Autoren
Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.

Burkhard Ciupka-Schön

Burkhard Ciupka-Schön ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen und war von 1995 bis Ende 2000 deren Geschäftsführer. Er ist psychologischer Psychotherapeut und Ambulanzleiter in eigener Praxis. Als Dozent und Supervisor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bildet er angehende Psychotherapeuten aus. Sein Therapie- und Lehrfokus sind Zwangserkrankungen. Burkhard Ciupka-Schön ist Autor des Buches Zwänge bewältigen - Ein Mutmachbuch*.