Magische Zwangsgedanken: Ein Ratgeber für Betroffene

Von Sarah Sidi, PD Dr. Susanne Fricke und Martin Niebuhr


Hast du große Angst vor bestimmten Farben, Zahlen oder Gegenständen, weil diese Unglück bringen könnten? Fühlst dich gezwungen, gewisse Dinge immer wieder zu tun oder zu denken, weil du sonst auf magische Art eine große Katastrophe heraufbeschwören könntest? Fühlst du dich gefangen in abergläubischen Befürchtungen, von denen du weißt, dass sie eigentlich übertrieben sind? Wenn du dich in dieser Beschreibung wiederfindest, könntest du an magischen Zwangsgedanken leiden. Mithilfe verhaltenstherapeutischer Verfahren gelten magische Zwangsgedanken als sehr gut therapierbar.

Viele abergläubische Vorstellungen sind weit verbreitet: Eine schwarze Katze, die von links nach rechts die Straße überquert, bringt Pech - das dreimalige Klopfen auf Holz hingegen Glück. Viele Menschen verspüren ein gewisses Unbehagen im Zusammenhang mit der Zahl 13 und legen einen wichtigen Termin vielleicht lieber auf den 14. Aber die meisten nehmen Aberglauben nicht wirklich ernst und fühlen sich dadurch nicht eingeschränkt. Aber bei dir ist das anders: Dich lassen diese Vorstellungen einfach nicht los. 

Vielleicht sagst du immer wieder bestimmte Sätze oder Wörter auf, um ein vermeintliches Unglück zu verhindern. Oder du vermeidest bestimmte Farben, Zahlen oder Kleidungsstücke, weil du befürchtest, dass diese einen negativen Einfluss auf dein Leben haben. Andere Betroffene wiederum fühlen sich gezwungen, bestimmte Dinge immer wieder zu wiederholen, bis sie sich sicher fühlen, ein vermeintlich bevorstehendes Unglück verhindert zu haben.

Magische Zwangsgedanken können unendlich viele Formen annehmen, aber sie alle haben eines gemeinsam: Betroffene haben Angst davor, auf magische Weise ein Unglück auszulösen oder nicht zu verhindern - obwohl sie eigentlich wissen, dass zwischen ihrer Befürchtung und dem, was sie dagegen tun, kein logisch erkennbarer Zusammenhang besteht. 

Magische Zwangsgedanken sind eine Form der Zwangsstörung, bei der Betroffene von aufdringlichen, abergläubischen und magischen Gedanken geplagt werden. Diese Zwangsgedanken verursachen bei den Betroffenen das drängende Gefühl, mithilfe von Zwangshandlungen, Vermeidungen, Rückversicherungen oder exzessiven Grübeleien ernsthaften Schaden von sich selbst oder anderen abwenden zu müssen. 

In diesem Artikel erfährst du, was magische Zwangsgedanken sind, wieso alle Versuche, sie loszuwerden, bisher ohne Erfolg geblieben sind und was dir stattdessen nachhaltig hilft, um zurück in ein freies und selbstbestimmtes Leben zu finden.

Was sind magische Zwangsgedanken?

Stell dir vor, du sitzt in der Straßenbahn und ein Mann neben dir klatscht ständig in die Hände. Irgendwann fragst du ihn, warum er immer wieder in die Hände klatscht, woraufhin er dir antwortet: ”Ich klatsche, damit es keine Elefanten regnet”. Du machst ihn darauf aufmerksam, dass es ja gar keine Elefanten regnet und er antwortet dir: “Sehen Sie!”.

Das ist ein typisches Beispiel für magisches Denken. Natürlich ist diese Geschichte mit einer Prise Humor zu nehmen und spiegelt in keiner Form deinen Leidensdruck wider. Was dich mit diesem Mann aber verbindet, ist, dass ihr beide befürchtet, eure Handlungen könnten doch einen Einfluss auf gewisse Ereignisse haben, obwohl es rational eigentlich keinen Zusammenhang gibt.  

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass sich magische Zwangsgedanken durch diesen fehlenden Zusammenhang von anderen Formen der Zwangsstörung unterscheiden. Bei Kontrollzwängen beispielsweise erscheint es logisch und rational, durch mehrfache Kontrolle der Tür (Zwangshandlung) einen Einbruch (befürchtetes Ereignis) zu verhindern.

Tatsächlich basieren aber die meisten Formen der Zwangsstörung nicht wirklich auf Logik, sondern auf der Intoleranz vor Ungewissheit und den dadurch ausgelösten unangenehmen Emotionen, die du versuchst, mithilfe von Zwangshandlungen zu neutralisieren. Gewissermaßen sind sich fast alle Betroffenen auch von anderen Formen der Zwangsstörung bewusst, dass ihre Befürchtungen und Versuche, mithilfe von Zwangshandlungen ihre Befürchtungen mit absoluter Gewissheit zu verhindern, übertrieben, unangemessen und damit “unlogisch” sind. 

Wie alle Betroffenen führst du Zwangshandlungen also nicht deswegen aus, weil sie tatsächlich funktionieren, sondern weil du dich emotional dazu gedrängt fühlst. Du hast das Gefühl, die Zwangshandlung könnte deine Befürchtung verhindern. Und so klein diese Wahrscheinlichkeit auch sein mag, willst du kein Risiko eingehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Inhalt der Zwangsgedanken magisch ist oder nicht: Die intensiven unangenehmen Emotionen werden von allen Betroffenen gleichermaßen real erlebt.

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Magische Zwangsgedanken vs. Aberglaube

Der große Unterschied zwischen Aberglauben und magischen Zwangsgedanken besteht im Ausmaß, dem Leidensdruck und der Beeinträchtigung: Normaler Aberglaube ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch harmlos und führt zu keiner Einschränkung im Leben. Betroffene von magischen Zwangsgedanken hingegen beschäftigen sich exzessiv und zeitintensiv mit ihren Befürchtungen und versuchen, diese unter unverhältnismäßig großem Aufwand zu verhindern. Zudem wollen Betroffene ihre Gedanken eigentlich gar nicht haben: Sie leisten Widerstand und fühlen sich von ihnen gequält. Zusammen führt das zu einem großen Leidensdruck und einer Beeinträchtigung des Alltags.

Symptome von magischen Zwangsgedanken

Typische magische Zwangsgedanken

Magische Zwangsgedanken können sich auf nahezu alles beziehen. Dabei können ganz konkrete Befürchtungen (z.B. dass deine Eltern in einem Autounfall sterben) oder auch sehr diffuse Befürchtungen (z.B. dass etwas Schlimmes passieren wird) im Vordergrund stehen. Typische Auslöser für magische Zwangsgedanken sind:

  • Abergläubische Befürchtungen (z.B. die Angst, dir könnte etwas Schlimmes passieren, wenn du in einen zerbrochenen Spiegel schaust)
  • Glücks- oder Unglückszahlen (z.B. 13, 666, Vielfache dieser Zahlen oder persönlich bedeutsame Zahlen), häufig auch in Verbindung mit gewissen Handlungen (z.B. der Gedanke, dir könnte etwas Schlimmes passieren, wenn du die Straße überquerst und dabei an die Zahl 6 denkst)
  • Glücks- oder Unglücks-Uhrzeiten/-Daten (z.B. die Angst, du würdest deinen Job verlieren, wenn du deinen Kontostand nicht Punkt 12 Uhr überprüfst)
  • Glücks- oder Unglücksfarben (z.B. die Angst, dass immer dann jemand, der dir nahesteht, stirbt, wenn du ein schwarzes Auto siehst)
  • Glücks- oder Unglücksobjekte (z.B. der Gedanke, deiner Katze könnte etwas zustoßen, wenn du nicht eine bestimmte Kette trägst)
  • Bestimmte Worte, Namen oder Bilder, die Unglück bringen (bspw. Teufel oder Hölle, aber auch persönlich bedeutsame Worte, Namen oder Bilder wie bspw. der Name einer Stadt, in der du in der Vergangenheit belastende Erfahrungen gemacht hast)
  • Die Vorstellung, schlimme Ereignisse könnten geschehen, wenn man von ihnen denkt, spricht oder hört (z.B. der Gedanke, dass du eine Lebensmittelvergiftung bekommst, wenn du an etwas Schlechtes denkst, während du Lebensmittel kaufst)
  • Bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen bringen Glück oder Unglück (z.B. der Gedanke, jemandem, der dir nahesteht, könnte etwas Furchtbares passieren, wenn du auf eine bestimmte Gehwegplatte trittst)
  • Orte, Dinge oder Menschen, die mit Unglück assoziiert werden, dürfen nicht angefasst/besucht werden (z.B. der 13. Stock eines Gebäudes, rote Gegenstände, ein Auto aus der Stadt, in der du zur Schule gegangen bist und wo du belastende Erfahrungen gemacht hast).
  • Bestimmte Handlungen bringen Unglück, wenn sie nicht eine genaue Anzahl ausgeführt werden (z.B. der Gedanke, du könntest für etwas Tragisches verantwortlich sein, wenn du nicht genau sieben Mal deinen Tee umrührst)
  • Etwas bringt Pech oder Unglück, wenn etwas schief oder falsch steht (z.B. die Angst, ein Unglück könnte passieren, wenn Teller und Besteck nicht genau an der Tischkante ausgerichtet sind)
  • Das Tragen eines „falschen“ Kleidungsstücks bringt Unglück (z.B. der Gedanke, dir könnte etwas zustoßen, wenn du ein Kleidungsstück trägst, welches du auch auf einer Beerdigung an hattest)

Wie du an der Vielfalt der Beispiele bereits erkennen kannst, können magische Zwangsgedanken jede Form annehmen. Häufig beziehen sie sich auf Bereiche deines Lebens, die dir besonders wichtig sind, wie zum Beispiel Familie, Gesundheit oder Beruf. Sie unterscheiden sich stark von Person zu Person - sei also nicht verwundert, wenn du deine eigenen Zwangsgedanken in dieser Auflistung nicht findest. 

Typische Befürchtung hinter magischen Zwangsgedanken

Magische Zwangsgedanken können sich auf die verschiedensten Dinge beziehen, dahinter stecken aber meist sehr ähnliche Befürchtungen. Zu diesen typischen Befürchtungen zählen: 

  • Du bist für eine Katastrophe verantwortlich oder hast diese nicht verhindert.
  • Jemand (bspw. du oder eine geliebte Person) stirbt oder kommt irreversibel zu Schaden.
  • Ein “schlechter” Gedanke wird wahr.
  • Lebenslange Schuldgefühle, weil du nicht alles dafür getan hast, deine Befürchtung zu verhindern - obwohl du es besser wusstest.
  • Das Gefühl der Anspannung und Unsicherheit bleibt für immer.

Beispiele für Zwangshandlungen bei magischen Zwangsgedanken

Mit Zwangshandlungen bzw. Neutralisierungen versuchst du, deine Befürchtungen um jeden Preis zu verhindern und deine Anspannung loszuwerden. Tatsächlich geben sie dir aber nur kurzfristig ein Gefühl der Sicherheit und tragen auf lange Sicht zur Aufrechterhaltung der Zwangsstörung bei. 

Beispiele für sichtbare Zwangshandlungen:

  • Du führst gewisse Handlungen mehrfach und ritualhaft aus (z.B. stehst du jeden Morgen genau zweimal aus dem Bett auf oder bindest deine Schnürsenkel genau viermal auf und zu)
  • Du bewegst deinen Körper auf eine bestimmte Weise (z.B. läufst du in deinem Schlafzimmer nur auf Zehenspitzen oder versuchst deinen rechten Arm während des Laufens immer eng am Körper zu halten)
  • Du gestikulierst auf eine bestimmte Art (z.B. benutzt du zum Winken nur die linke Hand oder zum Zeigen nur den kleinen Finger)
  • Du berührst bestimmte Gegenstände (mehrmals) auf bestimmte Art und Weise (z.B. berührst du den Henkel deiner Tasse (dreimal) nur mit Zeigefinger und Daumen)
  • Du führst Bewegungen rückwärts aus (z.B. gehst du durch jede dritte Tür rückwärts)
  • Du knüpfst Handlungen an bestimmte Daten oder Uhrzeiten (z.B. darfst du nur den Bus nehmen, der um 07:12 Uhr kommt)
  • Du sagst bestimmte Wörter, Sätze oder Zahlen auf (z.B. das Wort “sicher”, den Satz “Ich werde nicht sterben” oder die Zahl “drei”)
  • Du wiederholst gerade Gesagtes (z.B. sagst du “Das Essen ist gut” und daraufhin nochmal “Das Essen ist gut”)
  • Du wiederholst Handlungen, bis sie sich genau richtig anfühlen, und du dich sicher fühlst, das bevorstehende Unglück verhindert zu haben. 

Beispiele für mentale Zwangshandlungen: 

  • Du stellst dir bestimmte Bilder, Wörter, Geräusche oder Personen vor, die dich beschützen sollen (z.B. ein Bild von deinem Haus, das Wort “Glück”, geliebte Personen, wie dein Kind oder dein Partner)
  • Du zählst gedanklich bis zu einer bestimmten Zahl (z.B. 1, 2, 3, 4, 5)
  • Du stellst dir Zahlenreihen vor (z.B. 7, 14, 21, 28, 35, 42, usw.)
  • Du ordnest deine Gedanken rückwärts (z.B. statt “Ich fahre jetzt mit dem Auto” denkst du “Auto dem mit jetzt fahre ich”)
  • Du neutralisierst einen “schlechten” Gedanken mit (mehreren) “positiven” Gedanken (z.B. deinen “schlechten” Gedanken “Ich möchte, dass mein Chef zur Hölle fährt” neutralisierst du mit drei “positiven” Gedanken: “Ich bin unendlich dankbar für meinen Job”, “Mein Chef ist ein wunderbarer Mensch", "Ich könnte mir keinen besseren Chef vorstellen”)
  • Du neutralisierst Befürchtungen durch “gute” Bilder (z.B. wenn du das Wort “Krebs” im Zusammenhang mit einer geliebten Person hörst, stellst du dir diese Person strahlend und lachend vor, um den “negativen Einfluss” von “Krebs” zu neutralisieren)
  • Du bemühst dich deine Gedanken zu kontrollieren, indem du dir bestimmte Vorstellungen verbietest bzw. versuchst, an etwas Positives zu denken (z.B. versuchst du dir die Vorstellung, an Krebs zu erkranken, zu verbieten und richtest deine Aufmerksamkeit stattdessen krampfhaft auf eine Zukunft, in der du völlig gesund bist)

Beispiele für Vermeidungen:

  • Du meidest Wörter, Farben, Zahlen, Kleidungsstücke oder Personen, die dir vermeintlich Unglück bringen (z.B. das Wort “Pech”, die Farbe “schwarz”, die Zahl 13, ein Kleidungsstück welches du an einem schlechten Tag getragen hast oder eine Person, die dir zuvor eine schlechte Nachricht übermittelt hat)
  • Du meidest bestimmte Orte oder vermeidest, dir diese vorzustellen (z.B. den Friedhof, das Krankenhaus oder einen Raum in deinem zu Hause)
  • Du vermeidest es, bestimmte Dinge zu berühren (z.B. ein bestimmtes Buch, das Handy eines Freundes oder den Fahrstuhlknopf mit der Zahl 6)
  • Du vermeidest es, auf bestimmte Stellen zu treten (z.B. die Rillen zwischen den Gehwegplatten oder die Schwelle zwischen Flur und Schlafzimmer)
  • Du vermeidest bestimmte Handlungen an bestimmten Tagen des Monats oder der Woche (z.B. fährst du am sechsten Tag des Monats kein Auto oder verlässt am Sonntag nicht das Haus)

Beispiele für Rückversicherungen: 

  • Du versicherst dich bei anderen, dass nichts Schlimmes passiert ist oder passieren wird (z.B. mit Fragen wie “Hattest du einen Unfall?” oder “Deiner Mutter geht es gut, oder?")
  • Du versicherst dich bei anderen, dass bestimmte Handlungen oder Orte nicht gefährlich sind (z.B. das Treten auf eine bestimmte Bodenfliese oder das Besuchen eines Friedhofs)
  • Du suchst bei anderen nach Bestätigung, dass nichts Schlimmes passieren wird, falls du eine bestimmte Handlung unterlässt (z.B. „Es wird doch alles gut gehen, wenn ich nicht rückwärts in ein Flugzeug einsteige, oder?”)

Jenseits der Angst: Perfektionismus und Unvollständigkeitsgefühl

Es kann sein, dass sich deine magischen Zwangsgedanken nicht nur auf befürchtete Ereignisse beziehen. Möglicherweise geht es dir darum, ein schwer zu beschreibendes Bedürfnis nach Perfektion zu stillen oder ein unangenehmes, diffuses Gefühl von „Unvollständigkeit“ zu lindern. Man spricht hier auch von “Not-Just-Right-Experiences” – dem Gefühl, dass etwas „nicht genau richtig“ ist. Betroffene fühlen sich gezwungen, eine Zwangshandlung so oft zu wiederholen, bis sie sich endlich „genau richtig“ anfühlt, z.B.:

  • Du bestätigst den Lichtschalter mehrmals, bis du den Eindruck hast, dass der Druck “genau der richtige” war. 
  • Du bindest deine Schnürsenkel so oft zu, bis sie mit exakt dem gleichen Druck gebunden sind.
  • Du ordnest Gegenstände im Raum immer wieder “perfekt” (bspw. symmetrisch) an.
  • Du bewegst deinen Körper auf eine gewisse Art und Weise: Wenn du deinen rechten Arm beim Gehen nach vorne schwingt, muss dein linker Arm mit der gleichen Energie nach hinten schwingen.

Mehr über das Unvollständigkeitserleben findest du in unserem Artikel über Ordnungszwänge.

Exkurs: Die Rolle von magischen Zwangsgedanken bei anderen Formen der Zwangsstörung

Magische Zwangsgedanken können alleine auftreten oder bei anderen Formen der Zwangsstörung eine große Rolle spielen: 

  • Jemand mit Kontrollzwängen darf beispielsweise beim Kontrollieren des Herds keinen “schlechten” Gedanken haben und fühlt sich sonst gezwungen, sein Kontrollritual wiederholen zu müssen.
  • Jemand mit Waschzwängen hat beispielsweise Angst davor, beim Denken oder Reden über einen Kranken oder beim Ansehen eines Films über Krankheiten selbst eine bestimmte Krankheit zu bekommen oder dadurch jemand anderen krank machen zu können (emotionale Kontamination).
  • Jemand mit Ordnungszwängen hat beispielsweise die Befürchtung, es geschieht ein Unglück, wenn die Teller auf dem Tisch nicht genau symmetrisch angeordnet sind. 
  • Jemand mit religiösen Zwängen muss beispielsweise einen schlechten Gedanken an Gott mit genau fünf guten Gedanken an Gott ausgleichen, weil Gott ihm sonst nicht “verzeiht”. 

Therapie bei Magischen Zwangsgedanken

Die Therapie der ersten Wahl für alle Subtypen der Zwangsstörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie einschließlich Expositionen und Reaktionsmanagement.

Bei dieser effektiven Form der Psychotherapie lernst du, dich Schritt für Schritt angstauslösenden Situationen und Gedanken zu stellen (Exposition) ohne zu versuchen, die ausgelöste Anspannung mithilfe von problematischen Bewältigungsstrategien wie Zwangshandlungen, Grübeleien Vermeidungen oder Rückversicherungen zu verringern (Reaktionsmanagement).

Mithilfe von Expositionen machst du die Erfahrung, dass du zwangsauslösende Situationen und Gedanken aushalten kannst und deine Anspannung sogar nachlässt, wenn du nichts dagegen unternimmst. Dadurch, dass du dir Schritt für Schritt beibringst, auf deine Anspannung auf eine neue Art zu reagieren, geht deine Zwangssymptomatik zurück und die Anspannung lässt langfristig nach. Auch wenn die Therapie mit Expositionen als anstrengend gilt, so ist sie für Betroffene doch sehr lohnend: Zwangsstörungen zählen heute zu den psychischen Störungen mit den besten Therapieaussichten.

Um dich effektiv vom Zwang zu lösen, ist es also nötig, genau das Gegenteil von dem zu machen, was du bisher gemacht hast: nicht mehr mithilfe von magischen Zwangshandlungen auf Nummer Sicher zu gehen. Aber wie soll das möglich sein? Vermutlich hast du schon mehrfach erfolglos versucht, deine Zwangshandlungen zu unterlassen, dich aber immer wieder vom Zwang verunsichern lassen. 

Dein erster Schritt für die Genesung von magischen Zwangsgedanken: Ungewissheit akzeptieren

Wir möchten dich auf ein kleines Gedankenexperiment einladen: Wie gut haben dir deine Zwangshandlungen bisher geholfen - und zu welchem Preis? Wie viel Zeit verbringst du mit Zwangshandlungen, von denen du eigentlich selbst weißt, dass sie keinen Effekt haben? Fühlst du dich dadurch heute sicherer? Kannst du mit absoluter Gewissheit sagen, dass du deine Befürchtungen verhindern kannst? Oder kommt dein Zwang mit immer neuen Ideen um die Ecke?

Wenn du ehrlich bist, weißt du die Antwort darauf bereits: Der Zwang hält seine Versprechen von Sicherheit und Gewissheit nicht. Zwangshandlungen bieten nur eine sehr kurzfristige Beruhigung und führen letztendlich zu noch größerer Anspannung. Sie sind die Hauptursache für die Aufrechterhaltung deiner Zwangsstörung, denn mit jeder Zwangshandlung gibst du deinem Gehirn zu verstehen, dass eine reale Gefahr besteht, die du um jeden Preis abwenden musst. Zwangshandlungen bieten somit keinen Schutz vor Katastrophen, sondern verstärken das Gefühl, ständig neue Katastrophen verhindern zu müssen.

Auf Basis dieser Erkenntnis haben wir nun eine Nachricht für dich, die du sicher nicht so gern hören möchtest. Zur Überwindung deiner Zwangsgedanken wirst du etwas tun müssen, was für dich vermutlich sehr unangenehm ist: Ungewissheit akzeptieren.

“Aber wieso muss ich Ungewissheit akzeptieren?”, fragst du dich vielleicht, “Ich weiß doch, dass es eigentlich keinen Zusammenhang zwischen meinen Befürchtungen und Zwangshandlungen gibt.”

Das Problem bei magischen Zwängen ist: Es gibt keinen ultimativen Beweis, der dir mit absoluter Gewissheit garantiert, dass es nicht doch einen Zusammenhang zwischen deinen Befürchtungen und Zwangshandlungen gibt - auch wir können dir diesen nicht geben. Und auf dieser Basis hat dein Zwang einfaches Spiel: “Geh doch lieber nochmal auf Nummer Sicher”, flüstert er dir ins Ohr. Aus Angst, dass er vielleicht doch Recht haben könnte - schließlich hast du keinen ultimativen Beweis - wagst du es nicht, dich ihm zu widersetzen. 

Der Zwang spielt also ein Spiel mit gezinkten Karten - ein Spiel, das du nicht gewinnen kannst. Solange du dieses Spiel mitspielst, ist daher nur eines sicher: Dein Leben wird sich immer weiter einengen, denn Zwangshandlungen verstärken deinen Zwang. Wenn du deine Zwangsgedanken überwinden möchtest, ist es daher notwendig, aus diesem Spiel auszusteigen. Und der erste Schritt besteht darin, Ungewissheit tolerieren und akzeptieren zu lernen - und nicht mehr dagegen zu kämpfen (mehr dazu in unserer ausführlichen Artikel-Reihe zur Akzeptanz).

Expositionen: Magische Zwangsgedanken effektiv bewältigen

Wenn Zwangshandlungen und Vermeidungen nicht funktionieren, was funktioniert dann? Das Gegenteil: Die freiwillige Konfrontation mit Situationen, Dingen und Gedanken, die du bisher vermieden hast. Kurz gesagt trainierst du mithilfe von Expositionen dein emotionales Gehirn darauf, vor diesen Triggern langfristig weniger Angst zu haben. Das Prinzip der Exposition wird nicht nur bei Phobien und Ängsten, sondern auch bei Zwangsstörungen sehr erfolgreich eingesetzt.

Genauso wie sich Zwangsgedanken und Zwangshandlungen von Person zu Person unterscheiden, müssen auch Expositionen individuell angepasst werden. Hier findest du einige Inspirationen für Expositionen bei magischen Zwangsgedanken:

  • Schreibe einen “schlimmen” oder “verbotenen” Gedanken auf (z.B. “Ich hoffe, dass meine Mutter in einem Autounfall stirbt” oder “Teufel”). Lies diesen Gedanken wiederholt durch, sage ihn auf oder nimm ihn auf und höre ihn immer wieder an.
  • Konfrontiere dich mit deinen Unglückszahlen, -farben und -objekten. Schau sie an, nimm sie in die Hand, verteile sie in deiner Wohnung und vermeide sie nicht.
  • Suche aktiv Orte, Dinge und Personen auf, die du sonst meidest (z.B. den Friedhof, das Krankenhaus, den 13. Stock eines Hochhauses, deine Großeltern, etc.).
  • Führe gezielt Handlungen aus, von denen du befürchtest, auf magische Art ein Unglück auszulösen.
  • Führe gezielt Handlungen “falsch” aus (bspw. eine ungerade Anzahl, asymmetrisch, etc.).
  • Ziehe Kleidungsstücke an, die Unglück bringen (bspw. aufgrund ihrer Farbe).
  • Platziere Gegenstände absichtlich “falsch” im Raum.
  • Berühre “verbotene” Gegenstände oder berühre Gegenstände auf die “falsche” Art.
  • Führe Handlungen zu “verbotenen” Uhrzeiten aus. 

Genauso wichtig wie Expositionen ist das Reaktionsmanagement: Statt mithilfe von Zwangshandlungen auf Nummer Sicher zu gehen, ist es für eine nachhaltige Überwindung deiner Zwangsstörung notwendig, Zwangshandlungen zu widerstehen. Damit macht dein Gehirn wiederholt die Erfahrung, dass du Ungewissheit und unangenehme Gedanken und Gefühle aushalten kannst, ohne sie sofort loswerden zu müssen. Auf lange Sicht programmierst du damit dein Gehirn um und der Leidensdruck lässt nach.

Vielleicht glaubst du, Expositionen und das Unterlassen von Zwangshandlungen zielen darauf ab, zu testen, ob deine Befürchtungen wahr werden. Das ist aber nicht der Fall. Da der Zwang sehr kreativ ist, würde er dich schnell mit neuen Befürchtungen konfrontieren, die kaum oder gar nicht überprüfbar sind, bspw. “Bisher ist vielleicht noch nichts passiert, aber woher weißt du, dass das beim nächsten Mal auch so sein wird?” oder “Vielleicht ist nicht deine Mutter gestorben, aber was wäre, wenn irgendwo auf der Welt ein Mensch stirbt?”. 

Der Zweck von Expositionen ist also nie, sich zu beweisen, dass Befürchtungen wahr werden oder nicht. Wie bereits erwähnt, gibt es keinen ultimativen Beweis dafür, dass es nicht doch einen Zusammenhang zwischen deinen Zwangshandlungen und Befürchtungen gibt. Einen solchen Beweis zu suchen, wäre eine weitere Zwangshandlung mit dem Ziel, absolute Gewissheit herzustellen. 

Hilfe bei magischen Zwangsgedanken

Auf OCD Land findest du viele weitere nützliche Inhalte, die dich dabei unterstützen, deinen Zwang zu überwinden:

Wenn du dich mit deinen magischen Zwangsgedanken überfordert fühlst und Selbsthilfe nicht mehr ausreicht, möchten wir dir außerdem dringend empfehlen, einen auf Zwangsstörungen spezialisierten Psychotherapeuten aufzusuchen. Da es nicht leicht ist, einen solchen Spezialisten zu finden, geben wir dir in diesem Artikel konkrete Tipps.

Über die Autoren
Sarah Sidi

Sarah ist angehende Psychologiestudentin. Ihr wurde schon früh bewusst, wie wenig Verständnis und Akzeptanz es in unserer Gesellschaft für psychische Erkrankungen gibt. Als Praktikantin bei OCD Land möchte sie deshalb zur Entstigmatisierung der Zwangsstörung beitragen und Betroffene bei der Bewältigung der Zwangserkrankung unterstützen. Hierzu hat Sarah an informativen und hilfreichen Artikeln für unseren Experten-Blog gearbeitet und Übungsmaterial für den Mitgliederbereich erstellt.

PD Dr. Susanne Fricke

PD Dr. Susanne Fricke ist psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis und in der Aus- und Weiterbildung als Dozentin und Supervisorin tätig. Vor ihrer Niederlassung hat sie als leitende Psychologin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gearbeitet (Schwerpunkt: Angst- und Zwangsstörungen). Sie ist Autorin und Mitautorin vieler Fach- und Selbsthilfebücher, z.B. Zwangsstörungen verstehen und bewältigen*.

Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.