Habe ich eine Zwangsstörung?

Von Burkhard Ciupka-Schön und Martin Niebuhr

Mann mit einer Tragleuchte in der Hand.

„Erkenne Dich selbst!“ - Dies immer der erste Schritt auf dem Weg aus der Zwangserkrankung. Nur wenn ich das System aus Zwangsgedanken, Anspannungen und Zwangshandlungen umfassend durchschaut habe, kann ich mich nach einer bewussten Entscheidung und willentlichen Anstrengungsleistung dagegen wenden. Mit dieser Artikelreihe helfen wir dir, mehr über deine Zwangserkrankung zu erfahren und deine Zwangsgedanken und Zwangshandlungen aufzuspüren.

Zwänge stecken mit den Medien unter einer Decke! Das Massenmedium zur Zeit Martin Luthers war die Predigt im Gottesdienst. Damit waren religiöse Zwänge im Mittelalter noch an der Tagesordnung. Die 90er Jahre waren von einer Kampagne gegen die schlimme Krankheit AIDS geprägt. Daher erscheint das Thema AIDS bei Zwängen auch heute noch sehr häufig in einer psychotherapeutischen Praxis. Der Siegeszug der Hygiene in der Medizin sowie Kosmetik-, Reinigungs- und Waschmittelwerbung waren ein Mitauslöser für die vielen Wasch- und Putzzwänge.

Die Aufdeckung von sexuellem Missbrauch in Familien ging auch ab Anfang der 90er durch die Medien. Heute ist es der sexuelle Missbrauch in den Kirchen, der dieses schlimme Thema zum medialen Dauerbrenner macht. Kein Wunder also, dass medienaktuelle Themen wie sexueller Missbrauch, Pädophilie und Corona sich auch in Zwängen wiederfinden. Auch in Medien zelebrierter Schönheitswahn im „Next Topmodell“ und Modezeitschriften mit anorektischen Models fördert Zwangsgedanken, die typisch für Magersucht und Dysmorphophobie sind (die Angst, der Körper oder einzelne Körperteile seien hässlich oder entstellt).

Diagnoseinstrumente für Zwangserkrankungen (z.B. die Y-BOCS Symptom-Checkliste) sind hingegen häufig über 30 Jahre alt und haben es dadurch schwer, mit der schnellen Entwicklung in den Medien mitzuhalten: Themen wie Internet, Handy, Missbrauch, Corona oder sogar AIDS werden in diesen verstaubten Instrumenten nur unzureichend aufgegriffen, obwohl sie in der Therapie häufig auftreten.

Dies macht es nötig, die Selbstbeobachtung von Zwängen an die Dynamik der zeitgenössischen Medien und Berichterstattung anzupassen, weil sich die Zwänge in ihren Erscheinungsbildern auch mit den dynamischen Themen in den Medien ständig ändern.

Zwänge sind oft subtil und automatisiert

Im Folgenden zeigen wir eine Auflistung von Zwängen, bei denen Du dich vielleicht bei einigen der angesprochen Themen wiederfindest. Unsere Symptom-Checkliste ist ein Vorschlag, der nicht die gesamte Vielfalt der Zwänge abbilden kann. Medien drängen neue Themen aus der Welt in unser Blickfeld – und damit verschwinden alte Zwänge in die Bedeutungslosigkeit.

In unserer Symptom-Checkliste unterscheiden wir explizit auch nach Scham, Schuld, Angst, Ekel und Unvollständigkeit, weil dies die typischen Formen der Anspannung bei Zwängen sind. Diese fehlen bei den meisten Diagnoseinstrumenten, obwohl diese Formen der Anspannung im Mittelpunkt der Zwänge stehen.

Die meisten Zwangsgedanken sind offensichtlich und Du wirst spontan entscheiden können, ob der von uns angebotene Zwangsgedanke zu dir gehört oder nicht. Es gibt vielleicht aber auch Zwangsgedanken, die dich schon so lange beschäftigen, dass sie komplett automatisiert sind und du sie nicht mehr bewusst wahrnimmst. Automatische Zwangsgedanken müssen zunächst bewusst gemacht werden, um die in ihnen enthaltenen Fehlbewertungen durch angemessenere Bewertungen ersetzen zu können. Dieser Vorgang findet in der kognitiven Verhaltenstherapie statt.

Andere Zwangsgedanken gehen unter, weil sie so unscheinbar sind. Hierfür steht bespielhaft der schlichte Gedanke: „Der Reiz X verursacht bei mir Anspannung, die ich auf keinen Fall haben darf!“

Ein Zwang kommt selten alleine

Nach der Logik des Teufelskreis Zwang gehört zu jedem Zwang neben Anspannung und der Zwangshandlung auch ein Zwangsgedanke, egal ob er nun sehr auffällig und belastend oder eher schlicht, automatisiert und unbewusst ist. Genauso gibt es auch viele unscheinbare Zwangshandlungen, die ebenfalls Zwangsgedanken verstärken und die so gar nicht zu dramatischen Bildern von blutigen Händen eines Menschen mit Waschzwang passen, wie es sie in TV-Sendungen und YouTube-Reportagen zu sehen gibt.

Eine Vielzahl von TV-Serien zum sogenannten Messie-Syndrom, lassen unbedarfte Zuschauer darauf schließen, dass Zwangshandlungen stets etwas Dramatisches und Auffälliges sind. Weit gefehlt! Die meisten Zwangshandlungen sind eine diagnostische Herausforderung, weil sie bescheiden und unauffällig daherkommen. Wir wollen uns aber nicht beschweren: Dem Interesse der Medien für das Phänomen Zwangsstörung ist es zu verdanken, dass in den letzten Jahren immer mehr Betroffene den Weg aus ihrem Schattendasein gefunden haben.

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Es empfiehlt sich, Zwänge stets als Ganzes zu betrachten, denn auch, wenn erst einmal nur der Zwangsgedanke im Vordergrund steht, gibt es immer wieder automatisierte, verdeckte Zwangshandlungen, die aufgespürt werden müssen, um mit Ihnen per Exposition arbeiten zu können. Umgekehrt sind es häufig auch Zwangshandlungen, die im Vordergrund stehen, bei denen wir herausfinden müssen, welcher sinnstiftende Zwangsgedanke dahintersteht, um eine erfolgreiche Strategie im Umgang mit dem Zwang zu entwickeln.

Die nun folgenden Checklisten sollen dir helfen, neben den bereits bekannten und offensichtlichen vor allem auch die versteckten Zwangsgedanken, Anspannungen und Zwangshandlungen aufzuspüren, um mit einem vollständigen Teufelskreis Zwang arbeiten zu können.

Teil 1: Typische Zwangsgedanken

Zwangsgedanken sind störende Gedanken, Vorstellungen, Bilder, oder Impulse, die starke unangenehme Emotionen auslösen. Sie drängen sich dir wiederholt gegen deinen Willen auf, du hast Schwierigkeiten, sie loszuwerden, und sie halten auch länger an.

Zwangsgedanken sind sehr vielfältig und ihnen sind in Form und Inhalt keine Grenzen gesetzt. Daher haben unsere Inhalte unten keinen Anspruch auf Vollständigkeit - aber sie beinhalten typische Zwangsgedanken, die bei Betroffenen sehr häufig auftreten. Im Umkehrschluss heißt das jedoch nicht, dass jeder der untenstehenden Inhalte zwangsläufig ein Zwangsgedanke ist. Es handelt sich nur um einen Zwangsgedanken, wenn du ihn als störend, lästig, ungewollt oder sinnlos erlebst, du ihn versuchst, zu ignorieren, zu unterdrücken oder loszuwerden und wenn dich der Zwangsgedanke in deinem täglichen Leben beeinträchtigt.

Zwangsgedanken, die vorrangig Angst verstärken

Jetzt Früher
Befürchtung, sich selbst umzubringen oder schwer zu verletzen
Kontakt mit Keimen, Bakterien oder Viren (bspw. Corona, HIV, Hepatitis)
Übertragung von Substanzen, die in Zukunft schwere Krankheiten auslösen könnten (bspw. Krebs)
Kontakt mit toxischen Abfällen und giftigen Substanzen wie Asbest, Batterien oder strahlende Abfälle
Kontakt mit Haushaltschemikalien (bspw. Reinigungsmitteln, Lösungsmittel, Insektenschutzmittel)
Elektromagnetische (Handy-)Strahlung
Autoabgase oder andere giftige Gase
Öffentlich geteilte Güter wie Toiletten, Türen und Einkaufswagen
Kontakt mit Tastaturen und Handys
Medikamente
Arztpraxen und Krankenhäuser
Bestimmte Menschengruppen (bspw. Kranke oder Behinderte)
Zweifel, ob man sich ganz eindeutig, verständlich und korrekt ausgedrückt hat
Zweifel am eigenen Glauben
Der Gedanke, man könnte besessen sein
Selbst in einem Unfall verwickelt sein oder verletzt werden
Andere sind in einem Unfall verwickelt oder werden verletzt
Anderen oder sich selbst durch die eigenen Gedanken Schaden zufügen
Schaden, Diebstahl oder Verlust von Eigentum
Selbst zurückgewiesen, betrogen oder ausgenutzt werden
Die eigenen kognitive Fähigkeiten verlieren
Informationen vergessen (Erinnerungen, Fakten, Termine, …)
Niemals im Leben glücklich werden oder das zu bekommen, was man will
In einer unglücklichen Beziehung / mit dem falschen Partner feststecken
Zweifel an den Qualitäten des eigenen Partners
Sterblichkeit von dir selbst oder geliebten Menschen
Zweifel, ob deine Kinder deine eigenen sind
Sein Leben lang unter einer Zwangsstörung oder anderen psychichischen Erkrankung leiden
Statt unter einer Zwangserkrankung an anderen psychischen Erkrankungen (etwa Schizophrenie) leiden
Sich fragen, ob Dinge real sind, ob man verrückt wird, oder ob wir in einer Simulation leben
Zweifel, ob man selbst sexuell vergewaltigt, belästigt oder misshandelt wurde
Zweifel an der eigenen sexuellen Identität (bspw. Zweifel daran, ob man wirklich heterosexuell ist)
Zweifel am eigenen Geschlecht
Eine undiagnostizierte, schwere Krankheit haben (bspw. Krebs)

Zwangsgedanken, die vorrangig Scham und Schuld verstärken

Jetzt Früher
Aktiv anderen Menschen Schaden zufügen (verletzten, ermorden, vergiften, mit den Auto anfahren, bestehlen, betrügen etc.)
Verrückt werden, über sich die Kontrolle verlieren oder auf Basis von unkontrollierbaren Impulsen sich selbst oder anderen Menschen Schaden zufügen
Obszöne Gedanken, Blasphemien, Flüche oder Beleidigungen laut von sich geben
Obszöne oder peinliche Gesten machen
Sich asozial in der Öffentlichkeit verhalten
Gewalttätige oder abstoßende Fantasien, Bilder, Gedanken oder Worte
Jemanden in der Vergangenheit verletzt, beleidigt oder gekränkt haben
Eine geliebte Person zurückweisen, sich von ihr trennen oder ihr untreu sein
Den Wunsch haben, dass anderen Menschen Schaden zugefügt wird
Übertragung von Infektionen und Krankheiten auf sich oder andere Menschen
Kontaminierte Substanzen, die unendlich und unkontrolliert ausgebreitet werden und für immer an Dingen haften bleiben
Zweifel, ob man vollständig und perfekt die Wahrheit erzählt hat
Blasphemischen Gedanken, weil alleine die Gedanken vor Gott Sünde sind
Verstöße gegen Recht und Gesetz, Regeln der Moral oder göttliche Gebote
Zweifel, ob man in der Vergangenheit gegen Recht und Gesetz, Regeln der Moral oder göttliche Gebote verstoßen haben könnte
In der Vergangenheit tatsächlich gegen Recht und Gesetz, Regeln der Moral oder göttliche Gebote verstoßen haben
Zweifel, ob man ein moralisch guter Mensch oder guter Christ, Moslem etc. ist
Gotteslästerung begehen
Den eigenen Glauben fehlerfrei leben
Einen Unfall oder eine Katastrophe durch die eigene Nachlässigkeit verursachen (z.B. Brand, Autounfall, Unfallflucht, Einbruch, Stromschlag durch fehlerhafte Installationen, Überschwemmungen durch nicht sorgfältig zugedrehte Wasserhähne, Datendiebstahl, Hackerangriffen im Internet, etc.)
Durch Nachlässigkeit oder unbeabsichtigen Kontrollverlust sich selbst oder anderen Schaden zufügen
Zweifel, ob man anderen in der Vergangenheit Schaden zugefügt hat
Jemanden anders zurückgewiesen, betrogen oder ausgenutzt haben
Von anderen kritisch begutachtet werden
Befürchtungen, etwas Peinliches zu tun
Die Zwangserkrankung (oder eine andere psychische Erkrankung) gelangt an die Öffentlichkeit
Verbotene oder perverse sexuelle Gedanken, Fantasien, Bilder und Impulse
Sexuelle Handlungen mit Gottheiten oder Heiligen
Andere Menschen sexuell belästigen
Zweifel, ob man andere Menschen vergewaltigt, sexuell belästigt oder misshandelt hat

Das Besondere an Zwangsgedanken, die Scham, Schuld und Angst verstärken, ist, dass die Befürchtung sich häufig auf Ereignisse in einer abstrakten Zukunft beziehen. Es ist daher in der Reizkonfrontation nicht möglich zu prüfen, ob der Inhalt des Zwangsgedankens mit der Realität übereinstimmen kann. Beispielsweise können wir Gott nicht fragen, was er für verdammungswürdig hält.

Zwangsgedanken, die vorrangig Ekel verstärken

Jetzt Früher
Kontakt mit Körperflüssigkeiten und Exkrementen (z.B. Sperma, Urin, Kot, Speichel, Lubrikation) von Menschen oder Tieren
Tiere, Insekten und Parasiten (bspw. Fuchsbandwurm, Zecken, Spinnen…)
Kontakt mit Schmutz, Dreck, Fetten, klebrigen Substanzen, Müll oder Müllcontainern
Möglicherweise verunreinigte Lebensmittel
Menschen, Orte oder Dinge, die als schmutzig, emotional versucht, moralisch verdorben oder "falsch" wahrgenommen werden
Verseuchung durch eigene ("böse") Gedanken, bestimmte Erinnerungen, Worte, Zahlen oder Farben
Pädophil sein oder verbotene pädophile Handlungen vollziehen
Sonstige unübliche sexuelle Handlungen (bspw. mit Tieren, toten Menschen, Objekten, etc.)
Sexuellen Handlungen mit Familienmitgliedern
Homosexuelle Handlungen
Nacktheit
Das Besondere an Zwangsgedanken, die Ekel verstärken, ist, dass die Befürchtung sich häufig auch auf Ereignisse in der Gegenwart beziehen. Unter Therapeuten wird daher auch diskutiert, ob man die Angst und den Ekel, die etwa bei der Angst vor Insekten (Spinnenphobie) oder auch bei Waschzwängen ausgelöst werden, nicht eher den Phobien zuordnen sollte. Unser Vorschlag ist, dass wir von einem Zwang ausgehen, wenn nicht nur Meidung sondern auch Rückversicherungen und (mentale) Rituale dabei sind.

Zwangsgedanken, die vorrangig Unvollständigkeit verstärken

Jetzt Früher
Zweifel, ob man perfekt verstanden hat, was andere gesagt haben
Perfekt und eindeutig verstehen, was man gelesen hat
Alles über ein spezielles Thema wissen und verstehen wollen
Handlungen perfekt ausführen oder Gedanken perfekt denken wollen
Perfekt aussehen wollen
Der Wunsch, dass Kleidung perfekt ansitzen muss
Der Wunsch, die eigenen Dinge in perfekter Ordnung zu haben
Das Zuhause perfekt und makellos herrichten wollen
Alle Dinge symmetrisch und/oder ordentlich anordnen, damit es sich "richtig" anfühlt
Dinge nicht wegwerfen können (in der Sorge, man könnte es noch benötigen oder weil es sich "nicht richtig" anfühlt)
Sein Aussehen, Proportionen des eigenen Körpers, sein Gewicht, bestimmte Körpermerkmale, etc. als hässlich, zu klein, zu groß, unsymmetrisch, "falsch", zu dick, zu dünn etc. erachten (bspw. Wurstfinger, schwindener Haaransatz, zu große Nase, etc.)

Zwangsgedanken, die vorrangig eine diffuse Anspannung verstärken

Jetzt Früher
Abergläubische Befürchtungen (in Bezug auf sich selbst oder andere)
Glücks- oder Unglückszahlen (bspw. 13, 666 oder Vielfache dieser Zahlen)
Glücks- oder Unglücksfarben (bspw. Schwarz oder Rot)
Glücks- oder Unglücksobjekte (bspw. Kette oder Ring, schwarze Katze)
Bestimmte Worte, Namen oder Bilder, die Unglück bringen (bspw. Teufel oder Hölle)
Die Vorstellung, schlimme Ereignisse könnten geschehen, wenn man von ihnen denkt, spricht oder hört
Bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen bringen Glück oder Unglück
Orte, Dinge oder Menschen, die mit Unglück assoziiert werden, dürfen nicht angefasst/besucht werden
Bestimmte Handlungen bringen Unglück, wenn sie nicht eine genaue Anzahl ausgeführt werden (bspw. genau drei Mal durch die Tür gehen)
Etwas bringt Pech oder Unglück, wenn es schief oder falsch steht (bspw. ein Handtuch ist nicht sauber gefaltet oder etwas passt nicht zu der Zahl Drei)
Das Tragen eines „falschen“ Kleidungsstücks bringt Unglück
Sich aufdrängende bedeutungslose oder unsinnige Geräusche, Worte, Musik, Bilder oder Zahlenfolgen
Sich aufgrängende Fragen, die unwichtig sind oder für die es keine Antwort gibt
Übertriebene Aufmerksamkeitsrichtung auf eigene gedankliche Prozesse
Übertriebene Aufmerksamkeitsrichtung auf Dinge in der Umgebung (Geräusche, Farben, Objekte, Menschen, etc.)
Übertriebene Aufmerksamkeitsrichtung auf normale Körperfunktionen (Atmung, Herzschlag, Blinzeln, etc.)
Übertriebene Aufmerksamkeitsrichtung auf nicht-normale Körperfunktionen (Schmerzen, Tinnitus, etc.)
Übertriebene Aufmerksamkeitsrichtung auf Bewegungsabläufe (bspw. beim Gehen)
Das Besondere an Zwangsgedanken, die eine diffuse Anspannung verstärken, ist, dass die Betroffenen meist genau wissen, dass der Inhalt diese Gedanken keinen Sinn ergibt (magische Zwänge) oder sie eigentlich keine Bedeutung haben (neutrale Zwänge). Dem Unsinn dieser Zwangsgedanken fehlt die tugendhafte Schutzhülle (zwanghafte Sauberkeit, Ordnung, Frömmigkeit, Moral, etc.), aus denen sich viele Zwänge entwickeln. Dem interessierten Leser zeigen grade diese Zwänge deutlich, was Zwänge in ihrem Kern eigentlich sind: Der magische Versuch, Kontrolle über eine abstrakte, ungewisse Zukunft zu oder der verzweifelte Versuch, die Belästigung durch eigentlich neutrale Inhalte ein für allemal zu stoppen. Gemeinsam ist diesen Zwangsgedanken, dass sie eine Anspannung auslösen, von denen die betroffene Person glaubt, dass diese Anspannung unerträglich werde, wenn man nicht durch Meidung, magische Rituale oder Kontrollhandlungen Abhilfe schafft. Den Zwangsgedanken, dass man die Anspannung nicht aushalten würde, könnte man daher auch als die minimalste und einfachste Form eines Zwangsgedanken bezeichnen, die wiederum in jedem Zwangsgedanken steckt. Bei anderen Zwängen wird uns hingegen eigentlich nur vorgegaukelt, dass es um Sauberkeit, Ordnung, Kontrolle etc. geht. Dies ist ein weiterer Trick des Zwangs, mit dem er sich davor schützt, dass wir ihm den Garaus machen. Therapeutisch sind die magischen und neutralen Zwänge daher nützlich, weil sie helfen, Distanz und Krankheitseinsicht bei Zwängen zu vergrößern.
Autor Burkhard Ciupka-Schön mit einer Spinne auf der Hand.

Artikel-Autor Burkhard Ciupka-Schön bei einer starken Reizkonfrontation („Flooding“).

Teil 2: Typische Zwangshandlungen

In unserer Symptomliste der Zwangshandlungen haben wir auch die Rückversicherungen und die Vermeidungen als vollwertige „Zwangshandlungen“ berücksichtigt. Vermeidungen haben fast alle Betroffene, die unter Zwangsstörungen leiden, in ihrem Rucksack. Rückversicherung ist bei der Vermeidung von Schuld und insbesondere bei Kontrollzwängen sehr typisch.

Eine große Mitverantwortung für diese bisher unvollständige Sicht auf die Zwangsstörung, in der mentale Rituale, Vermeidungen und Rückversicherungen fehlen, tragen wohl ebenfalls die Medien (insbesondere TV und YouTube), die nicht müde werden, uns Zuschauern bewegte Bilder des Zwanges mit waschenden Händen, kontrollierenden Händen, betenden Händen und dergleichen zu präsentieren.

Aber der Zwang steckt im Kopf und nicht in den Händen! Medien, die die bewegten Bilder nutzen, mögen es nicht, dass sich der größte und wichtigste Teil des Zwanges in den Köpfen der Menschen und in den unsichtbaren Systemen aus Vermeidung, Ritual und Rückversicherung abspielen, weil sich die abstrakten Vorgänge des Zwanges in bewegten Bildern von YouTube oder TV nicht so gut darstellen lassen.

Immer wieder berichten Menschen, die von Zwängen betroffenen sind, dass sie ausschließlich unter Zwangsgedanken leiden und dass sie gar keine Zwangshandlungen aufweisen würden. In der Logik des Teufelskreis Zwang liegt es aber begründet, dass zu einem Zwangsgedanken, der die für Zwänge typischen Anspannungen (Scham, Schuld, Angst, Ekel, Unvollständigkeit) verstärkt, auch das süße Gift einer Zwangshandlung gehört, mit der Betroffene versuchen, diese Anspannung aufzulösen.

Das heißt aber nicht unbedingt, dass ZwangsHandlungen stets mit Händen ausgeführt werden müssen. Gedankliche Rituale und Vermeidungen spielen sich im Kopf ab. Weil sie aber Neutralisierungen sind bzw. der Vermeidung der genannten Anspannungen dienen, werden sie in der Therapie als süßes Gift den Zwangshandlungen zugerechnet - obwohl sie unsichtbar sind und die Hände hier keine Rolle spielen.

Zwangshandlungen, die vorrangig Angst neutralisieren

Jetzt Früher
Über gewisse Themen exzessiv nachdenken
Versuchen, sich an Dinge oder Fakten zu erinnern
Im Kopf (Gegen-)Bilder erzeugen, um Anspannung oder Zwangsgedanken zu neutralisieren
Darüber grübeln, ob es sich bei deinen Gedanken wirklich um Zwangsgedanken handelt
Darüber grübeln, ob deine Zwangsgedanken nicht doch deinem inneren Wesen entsprechen
Darüber grübeln, was deine Gefühle bedeuten könnten
Darüber grübeln, ob Dinge real sind, ob du verrückt wirst oder ob wir in einer Simulation leben
Zwangsgedanken nochmal mit Absicht denken, um zu kontrollieren ob sie immer noch negative Emotionen auslösen
Wiederholt Dinge lesen, ob man sie korrekt gelesen hat
Kontrollieren von (Wechsel-)Geld
Wiederholte Anrufe an Familienmitglieder oder Freunde und Bekannte, ob es ihnen gut geht
Prüfen, ob sich jemand potentiell Gefährliches in deiner Umgebung aufhält (bspw. unter deinem Bett, in einem anderen Zimmer, im Schrank)
Prüfen, ob dein Partner treu ist (Text-Nachrichten, Aufenthaltsorte, etc.)
Lebensmittel darauf prüfen, ob nicht jemand Drogen, Medikamente, Chemikalen etc. hinzugefügt hat
Die Benutzung scharfer oder spitzer Gegenstände (Messer, Scheren, Rasierern, etc.) vermeiden
Andere Personen in ihren Aktivitäten einschränken oder sie wiederholt warnen, um zu verhindern, dass ihnen etwas passiert
Andere wiederholt fragen, ob man selbst oder sie sicher sind und ob alles gut wird
Exzessives Erstellen von Listen

Zwangshandlungen, die vorrangig Scham und Schuld neutralisieren

Jetzt Früher
Im Nachhinein über vergangene Ereignisse zurückblicken und versuchen, sich genau an diese zu erinnern oder sie zu verstehen
Über (vergangene) Gedanken oder Handlungen nachdenken, um herauszufinden, ob sie angemessen und richtig sind (waren)
Darüber grübeln, ob du in der Vergangenheit eine gewisse Sache wirklich gemacht hast oder nicht
Darüber grübeln, ob du oder jemand anders in der Vergangenheit zu Schaden gekommen ist oder ob du jemandem Schaden zugefügt hast
Etwas, was du oder andere gesagt haben, wiederholt durchgehen und evtl. versuchen, das Gesagte ganz genau zu verstehen und zu deuten
Exzessives Kontrollieren von Fenstern, Türen, Türschlössern, Wasserhähnen, Elektrogeräten, Öfen, Lichtschaltern, etc.
Kontrollrituale, um einen (unbemerkten) Autounfall zu verhindern (bspw. exzessive Kontrolle des Rückspiegels, Vermeidung des Autofahrens, Fahren nur mit Beifahrer, Kontrolle von Autoteilen nach einer Autofahrt, eine gefahrene Strecke nochmals kontrollierend abfahren, Polizeifunk abhören)
Exzessives Kontrollieren, ob man sich oder andere Menschen verletzt hat (inkl. Vorsichtsmaßnahmen)
Kontrolle, ob man mit Kontaminiertem in Berührung gekommen ist; Übersteigerte Aufmerksamkeit auf potentiell Konaminiertes
Kontrollieren und Prüfen von scharfen oder spitzen Gegenständen
Kontrollieren, ob aufgerauchte Zigaretten oder Streichhölzer noch brennen
Prüfen von zu versendenen Briefen, Briefkästen, Paketen, etc.
Die Umgebung auf potentielle Gefahren für Kinder oder andere Personen kontrollieren
E-Mails, Briefe, Formulare oder anderes Geschriebenes auf Fehler oder ungewünschte Inhalte (bspw. Beleidigungen) kontrollieren
Prüfen, ob du nichts verloren, vergessen oder liegengelassen hast
Sicherstellen, dass wertvolle Dinge nicht zufällig weggeworfen werden
Prüfen, ob du dich richtig verhalten, richtig entschieden oder richtig ausgedrückt hast
Deine eigene Erinnerung prüfen und andere Leute Fragen, ob bestimmte Dinge in der Vergangenheit vorgefallen sind (bspw. ob du jemanden verletzt oder beleidigt hast)
Prüfen von potentiellen Gas-Quellen (insbesondere bei giftigen Gasen)
Prüfen, ob du ungesunde oder (religiös) verbotene Lebensmittel zu dir genommen hast
Erstellen von (mentalen oder Handy-) Aufnahmen von zu kontrollierenden Objekten (bspw. ein Handy-Foto, dass der Herd wirklich abgeschaltet ist)
Prüfen, ob dir oder jemandem anders (bspw. durch Unachtsamkeit) Schaden zugefügt wurde
Andere Personen die hier genannten Kontrollrituale durchführen lassen
Die hier genannten Kontrollrituale nur in Begleitung von anderen Personen oder Angehörigen durchführen
Andere Personen und Angehörige in Bezug auf Kontrollrituale wiederholt um Rückversicherung fragen (bspw. "Ist der Herd wirklich aus?")
Wiederholte Forderung von Rückversicherung bei Experten und Autoritäten wie Ärzten, Rechtsanwälten, Geistlichen, etc., um Sicherheit bei medizinischen, juristischen oder religiösen/moralischen Themen zu erhalten
Drang sich zu entschuldigen, ohne wirklich etwas Verwerfliches getan zu haben (primäres Ziel ist die Spannungsneutralisierung und nicht der Ausgleich eines Schadens in der Beziehung)
(Mentales) Aufsagen von Gebeten oder gebetsartigen Formeln
Vermeiden von Situationen, in denen man mit Kindern allein ist (um pädophile Zwangsgedanken zu unterdrücken oder pädophile Handlungen zu verhindern)
Vermeiden von Reizworten (bspw. Teufel, Hölle; Worte wie AutoKreuzung, HimbeerGeist aufgrund von Blasphemie gegen das heilige Kreuz Christi oder gegen den Heiligen Geist)
Rekonstruieren von vergangenen Ereignissen, um herauszufinden, ob dir oder anderen Leuten Schaden zugefügt wurde
Überprüfen, entfernen und sicherstellen von Dingen in der Umgebung, die anderen Schaden zufügen könnten (bspw. scharfe und spitze Gegenstände, Zigaretten, Glas, Rasierklingen, Steine auf dem Radweg)
Exzessives Beichten von Dingen, die du getan hast oder von denen du denkst, sie vielleicht getan zu haben (und die anderen evtl. Schaden zugefügt haben)
Exzessive Waschrituale , um eine Läuterung oder Neutralisierung von Schuldgefühlen zu erlangen

Zwangshandlungen, die vorrangig Ekel neutralisieren

Jetzt Früher
Exzessives und ritualisiertes Händewaschen, Duschen, Baden, Zähneputzen, Köperpflege, etc. (evtl. mit immensen Kosten für Wasser, Seife, Hautcreme, etc.)
Exzessive Beschäftigung mit der Reinigung des Haushaltes
Exzessive Verwendung von Desinfektionsmitteln, andere Personen desinfizieren oder bitten, sich zu desinfizieren
Exzessives Reinigen von Gegenständen und der eigenen Umgebung
Ständiges Wechseln und Waschen von Kleidung
Wegwerfen, Verkaufen und Zerstören von potentiell kontaminierten Objekten
Vermeidung von potentiell kontaminierten Objekten oder exzessive Reinigung vor Benutzung
Vermeidung von potentiell schmutzigen Gegenständen (z.B. Müll, Geld, Lebensmittel)
Vermeidung von potentiell kontaminierten öffentlichen Orten (bspw. Verkehrsmittel, WCs, Kinos, Restaurants, Supermärkte, Arztpraxen, Krankenhäuser, etc.) und Dingen (Telefone, Türklinken, Klinkeln etc.)
Vermeidung von potentiell kontaminierten Personen und körperlichen Berührungen (evtl. auch Vermeidung von Sexualität)
Handschuhe, Papier oder andere Hilfsmittel verwenden, wenn potentiell kontaminierte Objekte berührt werden
Andere Personen die hier genannten Reinigungsrituale durchführen lassen
Andere Leute oder das Internet zu Fragen bezüglich Kontamination konsultieren

Zwangshandlungen, die vorrangig Unvollständigkeit neutralisieren

Jetzt Früher
Im Kopf Gegenstände auflisten, anordnen oder verorten
Gedanklich fehlerfreies Aufsagen von Wörtern oder Sätzen
Gegenstände auf eine gewisse Art und Weise oder symmetrisch anordnen (bspw. Bücher im Regal strikt nach Größe sortieren, Bleistifte strikt parallel sortieren, etc.)
Exzessives Erstellen von Listen über Alltagsgegenstände
Neue Gegenstände in perfektem und unbenutztem Zustand erhalten
Gegenstände nur in perfektem Zustand kaufen und ggf. zurückggeben
Das Zuhause und Gegenstände in perfekter Ordnung und Sauberkeit halten
Gegenstände nicht benutzen, wenn sie perfekt angeordnet wurden
Sich perfekt ausdrücken, schreiben und kommunizieren (bspw. perfekt ausgedrückt oder fehlerfrei einen Brief schreiben)
Worte und Sätze perfekt lesen und verstehen
Sich perfekt und vollständig an Dinge erinnern
Perfekt und in allen Details über ein gewisses Thema Bescheid wissen
Die perfekte Entscheidung treffen wollen (und ggf. unzufrieden sein und eine neue Entscheidung treffen)
Dinge perfekt machen und dafür exzessiv viel Zeit in Anspruch nehmen
Dinge auf perfekte und exakte Art und Weise denken
Perfekt religiös sein oder ein perfekt moralischer Mensch sein
Sich selbst über alle Maßen verurteilen (auch schon bei kleineren Fehlern)
Sich perfekt und vollständig seine Umgebung bewusst machen
Die perfekte und vollständige Wahrheit erzählen/beichten
Die eigene äußere Erscheinung perfekt oder symmetrisch herrichten und erhalten (Haare, Nägel, Kleidung, Makeup)
Dinge nur zur "perfekten" Zeit machen
Kontrollieren, ob Dinge symmetrisch angeordnet sind oder perfekt stehen

Zwangshandlungen, die vorrangig eine diffuse Anspannung neutralisieren

Jetzt Früher
Hort- oder Sammelzwänge (Messie-Syndrom): Sammeln von Abfall, der eine vermeintlich wichtige Bedeutung hat, mit der Folge, dass die Wohnung vermüllt und unbewohnbar wird
Exzessive Kontrollen hinsichtlich bestimmter Körperteile oder Besonderheiten des Aussehens (z.B. Haare zu dünn, Nase zu lang)
Exzessives Sorgen über die Überfokussierung der Aufmerksamkeit auf einen nebensächlichen Aspekt; immer wiederkehrendes Überprüfen dieses Zustandes meiner Aufmerksamkeit
Nach einem System oder einer Regel Zählen; Ausführen von Alltagshandlungen nach magischen Zahlenmustern (z.B.: viermal rechts, viermal links tippen)
Bestimmte Wörter, Namen, Geräusche, Sätze, Zahlen oder Bilder bewusst wiederholt denken, gedanklich anordnen oder aufsagen
Bestimmte Körperbewegungen, Gesten, Grimassen, Zuckungen oder Handlungen ausführen, obwohl es keinen realen Bezug gibt
Objekte oder Gedanken (inkl. Bilder, Zahlen, Worte, etc.) auf eine bestimmte Art und Weise anordnen
Auf eine bestimmte Art und Weise gehen (bspw. nur auf bestimmte Dinge treten, immer mit dem linken Bein zuerst losgehen, "symmetrisch" gehen)
Handlungen erneut ausführen, wenn man dabei nicht einen bestimmten Gedanken gedacht hat
Bewegungen, Handlungen oder Denkprozesse in umgekehrter Reihenfolge ausführen
Bestimmte Bewegungen und Handlungen unterlassen, weil sonst eine magische Befürchtung eintreten könnte (bspw. nicht durch eine Tür gehen, weil dann jemand sterben könnte)
Objekte auf eine gewisse Art und Weise oder eine genaue Anzahl anstarren, anfassen, antippen, reiben etc.
Bei manchen Aktivitäten sich auf eine bestimmte Art und Weise bewegen
Bestimmte Aktivitäten wiederholt, eine genaue Anzahl oder lange genug ausführen bis es sich richtig anfühlt (bspw. lesen, schreiben, hinsetzen, aufstehen, durch Türen gehen, unter Brücken fahren)
Bestimmte Handlungen vor Benutzung oder vor anderen Handlungen durchführen (bspw. einen Stuhl berühren oder auf spezielle Art und Weise zurechtrücken bevor man sich hinsetzt)
Zahlen aufzählen (bspw. bei bestimmten Aktivitäten oder bis zu einer gewissen Zahl)
Aktivitäten genau eine gerade oder ungerade Anzahl durchführen
Zählen von Objekten in der Umgebug
Zählen, wie häufig gewisse Körperfunktionen durchgeführt werden (bspw. Atmung, Herzschlag)
Prüfen von eigenen Körperfunktionen (bspw. Herzschlag, Atmung, Schmerzen)
Prüfen, wie man sich gerade fühlt (bspw., ob man sich angespannt fühlt, ob man seinen Partner wirklich liebt, ob der Zwang noch da ist, etc.)
Prüfen, ob bestimmte Zwangsgedanken oder andere Trigger (noch) Anspannung auslösen

Wann ist ein Zwang ein Zwang?

Wenn du dir nicht sicher bist, ob einige deiner Gedanken und Handlungen zu Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gezählt werden können, die nicht in unserer Symptom-Checkliste enthalten sind, schlagen wir dir nun einige Kriterien zur Unterscheidung vor. Möglicherweise interessiert dich an dieser Stelle noch unser Artikel zu religiösen Zwängen, in dem am Ende der Unterschied zwischen „gesund“ und „zwanghaft“ am Beispiel religiöser Tabus und Rituale näher vorgestellt wird.

Kriterien für gesunde Rituale und Tabus Kriterien für zwanghafte Rituale und Tabus
Zeitliche und räumliche Begrenzung: Gesunde Rituale und Tabus haben einen definierten Anfang und Ende. Gewöhnlich finden sie an einem bestimmten Ort (z.B. Kirche, Mosche) statt, der zu einer Gemeinschaft gehört. Zwanghafte Rituale und Tabus sind zeitlich und räumlich unbegrenzt und exzessiv. Ausnahme: Kontrollieren und Horten sind meist auf die eigene Wohnung bzw. Arbeitsplatz begrenzt.
Gesunde Tabus und Rituale sind öffentlich und sind allen Mitgliedern innerhalb einer Gruppe bekannt. Zwanghafte Tabus und Rituale sind geheim und nur sehr wenigen Menschen bekannt.
Gesunde Rituale und Tabus haben einen Sinn und fördern den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Zwanghafte Tabus und Rituale haben einen paradoxen Sinn: Es tritt meistens das Gegenteil von dem ein, was die ursprüngliche Absicht war. Das Ergebnis der zwanghaften Tabus und Rituale ist Isolation.
Gesunde Rituale und Tabus fördern und markieren persönliche Entwicklung. Zwanghafte Tabus und Rituale hemmen die persönliche Entwicklung einer betroffenen Person.

 

Beobachtung des Schweregrades von Zwängen

Zwänge unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schweregrades. Durch wiederholte (Selbst-)Beobachtung des Schweregrades lassen sich Schwankungen erkennen, die auf konstruktive Problemlösungen, erfolgreiche Expositionen oder offene/versteckte Belastungen schließen lassen. Betroffene in einer (Selbsthilfe-)Gruppe unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schweregrades, ohne, dass ihnen dies äußerlich anzumerken ist.

Zähle die unten genannten Punkte zusammen und du erhältst eine grobe Einschätzung des Schweregrades deines Zwanges. Dies allein ist natürlich noch keine Diagnose. Diskutiere die Ergebnisse mit deinem Arzt oder Psychologen und beratet euch über Diagnose und weiterführende Maßnahmen.

Zeitaufwand für Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

0 - kein Aufwand an Zeit
2 - wenig Aufwand an Zeit
4 - mittlerer Aufwand an Zeit
6 - viel Aufwand an Zeit
8 - praktisch den ganzen Tag

Krankheits-Einsicht in Zwangsgedanken und Zwangshandlungen (sind Angehörige derselben Meinung?)

8 - keine Einsicht
6 - wenig Einsicht
4 - mittlere Einsicht
2 - viel Einsicht
0 - Vollständige Krankheits-Einsicht

Leidensdruck durch Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

0 - kein Leidensdruck
2 - wenig Leidensdruck
4 - mittlerer Leidensdruck
6 - viel Leidensdruck
8 - völlig unerträglicher Leidensdruck

Anspannung durch Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

0 - keine Anspannung
2 - wenig Anspannung
4 - mittlere Anspannung
6 - viel Anspannung
8 - unerträgliche Anspannung

Widerstand gegen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

8 - kein Widerstand
6 - wenig Widerstand
4 - mittlerer Widerstand
2 - viel Widerstand
0 - Sehr viel Widerstand

0 Punkte Keine Zwänge
bis 10 Punkte Geringe Zwänge
bis 20 Punkte Mittlere Zwänge
bis 30 Punkte Starke Zwänge
bis 40 Punkte Extreme Zwänge

Modifiziert nach Y-BOCS Goodman et. al. (9/89)

W. Goodman, S. Rasmussen, L. Price, L. Mazure, G. Heninger und D. Charney (1986, überarbeitete Fassung (1989). Verlag S. Karger aus der Zeitschrift „Verhaltenstherapie, 1991, Band 1 Heft 3

Über die Autoren
Burkhard Ciupka-Schön

Burkhard Ciupka-Schön ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen und war von 1995 bis Ende 2000 deren Geschäftsführer. Er ist psychologischer Psychotherapeut und Ambulanzleiter in eigener Praxis. Als Dozent und Supervisor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bildet er angehende Psychotherapeuten aus. Sein Therapie- und Lehrfokus sind Zwangserkrankungen. Burkhard Ciupka-Schön ist Autor des Buches Zwänge bewältigen - Ein Mutmachbuch*.

Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.