Kinder mit Zwangsstörungen: Ein Ratgeber für Eltern (Teil 2)

Von Sarah Sidi, PD Dr. Susanne Fricke, Dipl.-Päd. Katharina Grieser-Pander und Martin Niebuhr


Nachdem du im ersten Teil erfahren hast, was Zwangsstörungen genau sind, wie sie sich bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar machen und wie sie euer Familienleben belasten, erklären wir dir in diesem Artikel, wie ihr es als Familie schafft, euch vom Zwang zu befreien. 

Wie Teil 1 richtet sich auch dieser Artikel in erster Linie an Eltern von Kindern mit einem Alter von bis zu 14 Jahren. Viele Informationen in diesem Artikel können jedoch auch für Eltern älterer Jugendlicher hilfreich sein. Mehr Informationen für Angehörige erwachsener Betroffener findest du in diesem Artikel.

Zuallererst ist es wichtig zu wissen, dass Zwangsstörungen zu den am besten behandelbaren psychischen Erkrankungen gehören. Diese Aussage mag dich vielleicht überraschen - insbesondere, wenn dein Kind bereits erfolglos eine Therapie hinter sich hat oder du von Fachpersonen gegenteilige Aussagen gehört hast. Ein häufiger Grund dafür ist, dass viele Therapeuten nicht auf die Behandlung von Zwangserkrankungen spezialisiert sind und nicht auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse behandeln.

Im Idealfall habt ihr spezialisierte professionelle Unterstützung an eurer Seite - im Normalfall ist aber meist Kompromissbereitschaft gefragt: Häufig gibt es keine qualifizierte Fachperson in deiner Nähe oder der Beginn einer Therapie ist mit langen Wartezeiten verbunden. Allerdings kann man insbesondere bei weniger stark ausgeprägten Zwangsstörungen bereits viel mit Selbsthilfe erreichen. Im Folgenden möchten wir dir dazu Anregungen geben. Und selbst wenn ihr professionelle Unterstützung habt, werden die folgenden Punkte eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Zwänge spielen.

Gemeinsam aus dem Zwangs-Teufelskreis aussteigen

Erkläre deinem Kind die Zwangsstörung

Für viele Kinder ist schwer nachzuvollziehen, was eine Zwangsstörung ist. Ein hilfreicher Ansatz ist, die Erkrankung als ein "Zwangsmonster" zu beschreiben, das bei euch eingezogen ist und nun immer mehr versucht, über das Kind selbst und auch die Familie zu bestimmen. Nun gilt es, gemeinsam dem Zwangsmonster das Leben ungemütlich zu machen und nicht mehr auf seine Kommandos zu hören, damit es irgendwann keine Lust mehr hat, bei euch zu wohnen, und auszieht. Diese Metapher kann deinem Kind dabei helfen, zu verstehen, dass die Strategien und Maßnahmen, die ihr ergreift, sich nicht gegen das Kind selbst richten, sondern gegen die Erkrankung.

Den Zwang deines Kindes besser kennenlernen

Um den Zwang längerfristig zu verringern, ist ein erster sinnvoller Schritt, ihn besser kennenzulernen. Dafür kann dein Kind allein oder mit deiner Unterstützung ein Zwangstagebuch führen: In welchen Situationen tritt der Zwang auf? Welche Zwangsgedanken tauchen auf? Wie groß ist die Anspannung und mit welchen Zwangshandlungen versucht dein Kind, sie loszuwerden? Wo werden andere Familienmitglieder mit einbezogen? 

Das Zwangstagebuch zeigt deinem Kind, dass du ihm helfen möchtest und ermöglicht dir, deine oft unbemerkte Mithilfe im Zwangssystem zu erkennen. Eine Vorlage für ein solches Zwangstagebuch aus dem Buch Dem Zwang die rote Karte zeigen* findest du als kostenfreies PDF hier.

Mit Expositionen den Zwang verringern

Übungen gegen die Zwänge, auch Expositionen oder Expos genannt, sind die wirksamste Strategie, um Zwänge zu reduzieren. Dabei geht es darum, sich Schritt für Schritt zwangsauslösenden Situationen und Gedanken zu stellen, ohne zu versuchen, die ausgelöste Anspannung mithilfe von problematischen Bewältigungsstrategien wie Zwangshandlungen, Vermeidungen oder Rückversicherungen zu verringern. 

So macht dein Kind die Erfahrung, dass es zwangsauslösende Situationen und Gedanken aushalten kann und die Anspannung sogar nachlässt, wenn es nichts dagegen unternimmt. Indem du dein Kind ermutigst, auf Anspannung auf eine neue Art zu reagieren, geht die Zwangssymptomatik allmählich zurück und die Anspannung lässt langfristig nach. Das kostet am Anfang viel Überwindung, doch mit der Zeit wird es deinem Kind immer leichter fallen. 

Es ist besonders wichtig, dass dein Kind den Zweck der Expositionsübungen versteht und sie aus eigenem Antrieb und freiwillig durchführt. Hingegen ist es kontraproduktiv, dein Kind gegen seinen Willen mit angstauslösenden Situationen zu konfrontieren oder unerwartet Grenzen zu setzen, die nicht abgesprochen sind. Ein solches Vorgehen würde nicht nur die Überwindung der Zwangsstörung behindern, sondern auch euer gegenseitiges Vertrauensverhältnis beeinträchtigen. Wir gehen später ausführlicher darauf ein, wie du dein Kind bei Expositionen unterstützen und deine Mithilfe im Zwangssystem reduzieren kannst.

So kannst du es deinem Kind erklären: 
“Stell dir vor, du willst im Schwimmbad vom Sprungturm springen. Zunächst erfordert es viel Mut, den Sprung zu wagen. Überleg dir zuerst, welche Höhe du dir zutraust und dann springst du. Irgendwann bist du so weit und möchtest die nächste Stufe erklettern und von dort aus springen. Es wird mit jedem weiteren Mal leichter für dich, bis es schließlich zur Routine wird und irgendwann keine Überwindung mehr kostet. Das gleiche gilt für die Überwindung der Zwangsstörung.”

Beispiele für Expositionsübungen:

  • Waschzwänge: Eine Türklinke berühren, ohne sich danach die Hände zu waschen.
  • Kontrollzwänge: Das Handy schnell ausschalten und ihm anschließend sofort und ohne weiteres Kontrollieren den Rücken zudrehen. Anschließend ins Bett oder zur Schule gehen, ohne das Handy vorher nochmal zu prüfen.
  • Ordnungszwänge: Bewusst Unordnung in den Zwangsbereichen erzeugen, ohne die Unordnung zu beseitigen.
  • Magische Zwangsgedanken: Konfrontation mit Unglückszahlen, -farben und -objekten. Diese in die Hand nehmen, in der Wohnung verteilen und sie nicht mehr vermeiden.
  • Aggressive Zwangsgedanken: Bücher mit gewalttätigen Inhalten lesen oder Filme/Serien mit gewalttätigen Inhalten anschauen (natürlich altersgemäß und der FSK entsprechend).
  • Zweifel an der sexuellen Orientierung: Menschen des gleichen Geschlechts nahekommen (bspw. einen Freund treffen, sich neben jemanden im Zug setzen, genderspezifische Kleidung des entsprechenden angstauslösenden Geschlechts tragen)

Dies ist lediglich eine kleine Auswahl möglicher Expositionen. Viele weitere Ideen findest du in den verlinkten Artikeln. 

Damit Expositionen helfen können, ist es wichtig, dass dein Kind die Übungen regelmäßig (am besten täglich) macht. Überlege gemeinsam, was es üben kann und wann ein guter Zeitpunkt dafür ist. 

Expositionen fordern viel von deinem Kind, daher ist es entscheidend, dass du es motivierst, die Übungen durchzuführen, und seine Bemühungen anerkennst. Eine wirksame Methode hierfür ist, gemeinsam Belohnungen zu vereinbaren, die dein Kind wirklich motivieren. Die Auswahl der Belohnung sollte dabei eng an die Wünsche deines Kindes angelehnt und attraktiv genug sein, um eine echte Motivation zu bieten. Nimm dir Zeit, dich mit deinem Kind hinzusetzen und gemeinsam zu überlegen, welche Belohnungen wirklich sinnvoll und motivierend sind.

Beispiele für Belohnungen: 

  • Gemeinsame Zeit
  • Qualitätszeit mit nur einem Elternteil
  • Zusätzliche Medienzeit
  • Kinobesuch
  • Einen Film für den Familienabend aussuchen dürfen
  • Lieblingsessen gekocht bekommen
  • Stempel- oder Punktepläne für das erfolgreiche Durchführen von Expositionen
  • Ausflug zu einem besonderen Spielplatz

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Erkenne deine eigene Mithilfe im Zwangssystem deines Kinds

Aus dem Wunsch heraus, deinem Kind zu helfen bzw. sein Leid zu verringern, hast du sicher schon häufiger den Forderungen des Zwanges nachgegeben oder Aufgaben übernommen. Dir ist vermutlich nicht bewusst, dass du durch dein Mitwirken den Zwang unabsichtlich auf längere Sicht verstärkst bzw. du hast dir und deinem Kind nicht anders zu helfen gewusst. 

Beispiele für Mithilfe:

  • Du beteiligst dich an den Zwangshandlungen des Kindes oder übernimmst sie sogar gänzlich, indem du zum Beispiel für das Kind als “kontaminiert” eingestufte Dinge säuberst oder putzt, Türen öffnest (falls es Türklinken meidet), Elektrogeräte / Apps / Türschlösser / Hausaufgaben überprüfst, große Mengen "kontaminierter" Wäsche wäschst oder auf eine ganz spezielle Art und Weise kochst.
  • Wenn das Kind unter einem Ordnungs- und Symmetriezwang leidet, kann das bedeuten, dass in eurem Zuhause alles in perfekter Ordnung und Sauberkeit gehalten werden muss und du dich an diese “Vorgaben des Zwanges” hältst. 
  • Du unterstützt die Zwangshandlungen des Kindes, indem du spezielle Utensilien besorgst (bspw. Wasch- und Reinigungsmittel, bestimmte Lebensmittel etc.) oder ständig die Waschmaschine zur Verfügung stellst.
  • Du vermeidest es, Trigger zu erwähnen oder verbirgst diese vor deinem Kind, um es nicht zu beunruhigen (z. B. Zeitung abbestellen, weil die Inhalte Angst auslösen; nicht über Krankheiten sprechen).

So wird der Zwangs-Teufelskreis durch deine Mithilfe aufrechterhalten:

  • Kurzfristige Folgen: Erleichterung des Kindes und dadurch auch Erleichterung der Angehörigen.
  • Langfristige Folgen: Deine Mithilfe im Zwangssystem verstärkt die Zwänge deines Kindes und seine zunehmende Forderung nach weiterer Mithilfe. Dadurch wirst du immer mehr in die Zwänge mit einbezogen.

Reduziere Schritt für Schritt deine Mitwirkung im Zwangssystem

Damit dein Kind erfolgreich aus dem Zwangs-Teufelskreis aussteigen kann, ist es wichtig, dass Familienmitglieder ihre Unterstützung bei den Zwangshandlungen schrittweise bis auf Null zurückfahren. Konkret bedeutet das, keine Rückversicherungen mehr zu geben, „Zwangsregeln“ weniger strikt oder gar nicht mehr zu befolgen, euch nicht an Zwangshandlungen zu beteiligen und Vermeidungsverhalten zu reduzieren. Nur wenn alle Familienmitglieder sich dazu entschließen, nicht mehr ein Teil mehr des Zwangssystems zu sein, ist es für das Kind möglich, nachhaltig die Zwangsstörung zu überwinden. 

Es ist wichtig, dass ihr eure Verhaltensänderungen gegenüber dem Kind klar und transparent kommuniziert. Besonders zu Beginn kann sich dein Kind erstmal schlechter fühlen, was für dich als Elternteil schwer auszuhalten sein wird. Erkläre deinem Kind, dass ihr von nun an das Kind selbst unterstützen wollt und nicht den Zwang. Besprecht dabei gemeinsam, welche Schritte sinnvoll sein können. Achtet darauf, dass das Kind nicht überfordert wird. Erscheint ein Schritt zu groß, macht zwei Schritte daraus, die ihr nacheinander abarbeitet. Viele Familien finden es hilfreich, (schriftliche) Vereinbarungen zu treffen, sodass jedes Familienmitglied versteht, wie man sich bestmöglich verhalten kann.

Beispiele für eine das Reduzieren von Mithilfe:

  • Keine Zwangshandlungen mehr für das Kind ausführen (bspw. Kontrollhandlungen oder Reinigungsrituale)
  • Handlungen unterlassen, die den Zweck haben, die Zwangsrituale des Kindes zu vereinfachen (bspw. in großen Mengen Seife oder Desinfektionsmittel kaufen)
  • Rückversicherungen verringern (z.B. die zwanghafte Frage, ob heute alles gut wird und nichts Schlimmes passieren wird, nicht mehr beantworten bzw. weniger häufig)
  • “Zwangsregeln” weniger oder gar nicht befolgen (z.B. als Eltern die Mülltonne anfassen, auch wenn dies aversive Gefühle im Kind entstehen lassen kann)
  • Das Kind nicht mehr in seinem Vermeidungsverhalten unterstützen (z.B. mit dem Kind verreisen, auch wenn das viel Unsicherheit auslösen kann)

Da es für dein Kind anfangs schwer sein wird, nicht nach eurer Mithilfe oder Rückversicherung zu fragen, ist es hilfreich, sich vorher Strategien zu überlegen, wie man auf wiederholte, dringliche Bitten oder Fragen des Kindes reagiert. Hier sind beispielhafte Antwortmöglichkeiten:

  • Ich weiß, dass das gerade schwer für dich ist, aber ich bin davon überzeugt, dass du das Gefühl aushalten kannst, auch wenn ich dir jetzt nicht helfe / keine Antwort gebe.
  • Ich möchte dir und nicht dem Zwang helfen. Darum antworte ich darauf nicht.
  • Es ist okay, sich unsicher zu fühlen. Wir müssen nicht immer eine Antwort haben.
  • Meinst du, da könnte gerade der Zwang meine Hilfe wollen? Wer möchte das: du oder der Zwang?

Durchhaltevermögen und Geduld sind gefragt - und werden belohnt!

Es ist ratsam, sich als Familie darauf einzustellen, dass es zunächst zu vermehrten Auseinandersetzungen kommen kann. Dein Kind könnte häufiger laut werden oder dir Vorwürfe machen. In solchen Momenten ist es wichtig, ruhig und freundlich zu bleiben und dein Kind an die gemeinsamen Vereinbarungen zu erinnern. Manchmal kommt es sogar zu handgreiflichen Konflikten. In diesem Fall solltest du deutlich „Stopp!“ sagen und den Raum verlassen, falls dein Kind nicht aufhört. Du solltest aber niemals selbst handgreiflich werden. Nutze einen ruhigen Moment, um gemeinsam mit deinem Kind zu besprechen, welche Konsequenzen sein Verhalten nach sich zieht.

Um dem Zwang nachhaltig entgegenzutreten, ist es wichtig, sich gemeinsam realistische Ziele zu setzen. Verhaltensänderungen brauchen Zeit. Es ergibt daher keinen Sinn, schon nach kurzer Zeit große Fortschritte zu erwarten, zumal es bei der Behandlung von Zwängen keine schnellen oder einfachen Lösungen gibt. 

Vermittle deinem Kind, dass Durchhaltevermögen und Geduld erforderlich sind, um einen gesunden Umgang mit den Zwängen zu erlernen. Ebenso wichtig ist es, von Rückschlägen auszugehen. Sie sind normal und Teil des Genesungsprozesses. Begleite dein Kind durch diese Rückschläge, ohne dabei Teil des Zwangssystems zu werden. Lerne gemeinsam mit deinem Kind, Rückschläge zu akzeptieren und anschließend gestärkt weiterzumachen. Zudem ist es essentiell, dass ihr als Eltern Einigkeit demonstriert und diese Einheit auch eurem Kind spürbar macht: Durch einen konsistenten elterlichen Rahmen vermittelt ihr eurem Kind ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit.

Wie kannst du dein Kind emotional unterstützen?

Wenn dein Kind gestresst ist und unter Druck steht, werden die Zwänge tendenziell stärker. Am besten fragst du dein Kind, unter welchen anderen Belastungen es im Moment leidet. Überlegt gemeinsam, wie ihr diese reduzieren könnt. Hier sind einige Inspirationen: 

  • Reduziere den (schulischen) Leistungsdruck deines Kinds: Überlege gemeinsam mit deinem Kind, wo es Leistungsdruck empfindet. Mach dir zusammen mit deinem Partner Gedanken, wo ihr als Eltern als Modell unbewusst vielleicht Leistungsdruck vermitteln könntet. Sucht das Gespräch mit dem Klassenlehrer und denkt ggf. über einen Wechsel der Schulform nach.
  • Höre dir die Sorgen und Nöte des Kindes an, ohne diese zu bewerten und gib konstruktive Lösungsvorschläge. Nimm die Sorgen ernst, auch wenn du sie nicht vollständig nachvollziehen kannst.
  • Lobe dein Kind für seine gesunden Seiten und bringe deine Anerkennung zum Ausdruck.
  • Ermutige dein Kind, sich seinen Ängsten zu stellen, ohne sich dabei zu überfordern.
  • Achte auf ein Gleichgewicht zwischen Behüten und der Unterstützung seiner Selbstständigkeit.
  • Unternehmt gemeinsame Aktivitäten abseits vom Zwang. Verabredet Zeiten (z.B. gemeinsame Mahlzeiten), in denen der Zwang nicht thematisiert wird.  
  • Achtet besonders beim Rückgang des Zwangs darauf, dass die gemeinsame Zeit nicht weniger wird. Ersetzt Zeit, die zuvor der Zwang in Anspruch genommen hat, bewusst mit geplanter Qualitätszeit.

Wie werde ich dem Geschwisterkind gerecht?

Vermutlich kennst du die Situation, dass eine geplante Aktivität spontan ins Wasser fällt, weil sich dein Kind in endlosen Zwangsritualen verliert. Das ist nicht nur belastend für das betroffene Kind, sondern auch bedauerlich für das Geschwisterkind, das ebenso unter der Zwangsstörung leidet. Falls du das Gefühl hast, dass das Geschwisterkind zu kurz kommt, sind hier einige Ideen:

  • Verbringe gezielt Zeit allein mit dem Geschwisterkind. So beugst du Gefühlen der Eifersucht und Vernachlässigung vor und vermittelst dem Geschwisterkind, dass es genauso liebenswert ist.
  • Wenn das Geschwisterkind alt genug ist, solltest du es angemessen über die Zwangsstörung aufklären. So kann es erkennen, dass es nicht Schuld an der Situation ist, und nachvollziehen, warum es manchmal weniger Aufmerksamkeit bekommt.
  • Achte auf einen respektvollen Umgang innerhalb der Familie und nimm in Konfliktsituationen eine vermittelnde Rolle zwischen den Geschwistern ein, indem du die verschiedenen Beweggründe erklärst und Kompromissvorschläge machst. 

Tue etwas für dich selbst

Als Mutter oder Vater eines Kindes mit einer Zwangsstörung trägst du eine große Last, aber du musst sie nicht alleine schultern. Das kannst du tun, um dich selbst zu entlasten: 

  • Erkenne deine eigene Leistung an. Das Zusammenleben mit einem Kind mit Zwangsstörung, und die Unterstützung, die du dabei leistest, fordern viel von dir. Würdige deine eigene Stärke und Ausdauer, die du tagtäglich aufbringst.
  • Nimm professionelle Hilfe in Anspruch, ggf. auch mit deinem Partner zusammen, um deine/eure psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken.
  • Nimm an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige teil. Selbsthilfegruppen bieten nicht nur Trost und Unterstützung, sondern helfen auch dabei, das Gefühl der Isolation zu überwinden. Beispielsweise bietet die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ) regelmäßig Online-Selbsthilfegruppen über Zoom speziell für Eltern mit zwangserkrankten Kindern an.

Wenn Selbsthilfe nicht mehr ausreicht

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist nachweislich das effektivste Verfahren zur Behandlung von Zwangsstörungen und die Behandlung der ersten Wahl. Das Herzstück der Behandlung ist die sogenannte Exposition mit Reaktionsmanagement

Damit dein Kind diese Behandlung erhält, solltest du einen Therapeuten aufsuchen, der Erfahrungen mit Zwangsstörungen hat und diese auch mit Expositionen und Reaktionsmanagement behandelt. Das ist leider häufig nicht der Fall, weswegen sich die Therapeutensuche meist als schwierig gestaltet. In diesem Artikel findest du konkrete Tipps, die dir dabei helfen können. Zwar ist der Artikel primär an Erwachsene gerichtet, die meisten Ratschläge gelten jedoch ebenso für die Therapeutensuche bei Kindern. Kinder ab 16 Jahren haben zudem die Möglichkeit, sich auch ohne die Einwilligung der Eltern eigenständig in Psychotherapie zu begeben. 

Für Kinder mit besonders intensiven Zwängen kann eine Behandlung in einer spezialisierten (Tages-)Klinik sinnvoll sein. Mehr Informationen dazu findest du ebenfalls bei den im Artikel genannten Anlaufstellen.

Neben der kognitiven Verhaltenstherapie werden auch Medikamente zur Behandlung von Zwangsstörungen eingesetzt - hierbei insbesondere die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Für Kinder ab 6 Jahren ist der Wirkstoff „Sertralin“ zugelassen, während Kinder ab 8 Jahren “Fluvoxamin” verschrieben bekommen können. Medikamente sind nicht die Behandlung erster Wahl. 

Schlusswort

Für die Bewältigung einer Zwangsstörung sind Mut, Geduld und Ausdauer gefragt. Es ist daher umso wichtiger, jeden Fortschritt anzuerkennen und zu würdigen. Zeige deinem Kind Liebe und Rückhalt, ermutige es und sei da, um es zu trösten. Ihr solltet euch auch darauf einstellen, dass die Genesung nicht immer geradlinig verläuft: Rückschläge sind ein normaler Teil des Prozesses. Macht euch daher bewusst, wofür sich die Anstrengung lohnt. Das stärkt die Motivation aller Beteiligten und erhöht die Chancen einer Genesung. Der Rückhalt aus der Familie ist dabei von größtem Wert. 

Über die Autoren
Sarah Sidi

Sarah ist angehende Psychologiestudentin. Ihr wurde schon früh bewusst, wie wenig Verständnis und Akzeptanz es in unserer Gesellschaft für psychische Erkrankungen gibt. Als Praktikantin bei OCD Land möchte sie deshalb zur Entstigmatisierung der Zwangsstörung beitragen und Betroffene bei der Bewältigung der Zwangserkrankung unterstützen. Hierzu hat Sarah an informativen und hilfreichen Artikeln für unseren Experten-Blog gearbeitet und Übungsmaterial für den Mitgliederbereich erstellt.

PD Dr. Susanne Fricke

PD Dr. Susanne Fricke ist psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis und in der Aus- und Weiterbildung als Dozentin und Supervisorin tätig. Vor ihrer Niederlassung hat sie als leitende Psychologin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gearbeitet (Schwerpunkt: Angst- und Zwangsstörungen). Sie ist Autorin und Mitautorin vieler Fach- und Selbsthilfebücher, z.B. Zwangsstörungen verstehen und bewältigen*.

Dipl.-Päd. Katharina Grieser-Pander

Katharina Grieser-Pander ist leitende Psychotherapeutin in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Zudem ist sie in eigener Praxis und in der Aus- und Weiterbildung als Dozentin und Supervisorin tätig.

Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.