Zwanghaftes Grübeln: Intro zur Artikel-Reihe

Von Martin Niebuhr


Beschäftigen dich Zweifel und Sorgen den ganzen Tag? Verbringst du Stunden damit, immer wieder dieselben Gedanken durchzukauen, ohne eine Lösung zu finden? Hast du das Gefühl, dein zwanghaftes Grübeln geschieht automatisch und du bist ihm wehrlos ausgeliefert? Wir verstehen, wie ausweglos das Grübeln erscheinen kann, aber wir wollen dir zeigen, dass es einen Ausweg gibt. In dieser Artikelreihe erklären wir dir das zwanghafte Grübeln und helfen dir, es mit konkreten Strategien und Tipps zu überwinden.

Wenn man von zwanghaftem Grübeln spricht, denkt man häufig an Menschen, die einfach zu viel nachdenken. Doch für dich als Betroffenen ist es viel mehr als das. Für dich ist es ein unkontrollierbares, belastendes und scheinbar auswegloses Problem. 

Möglicherweise hat sich dein zwanghaftes Grübeln bereits so weit verselbstständigt, dass du es nicht mehr abschalten kannst – selbst, wenn du es wolltest. Ständig verspürst du den großen Drang, deine Zweifel, Sorgen, aufdringlichen Gedanken und unangenehmen Emotionen loszuwerden. Du fühlst dich sprichwörtlich gezwungen, diesen unerträglichen Zustand aufzulösen. 

Am liebsten würdest du deinen Kopf einfach abschalten und endlich zur Ruhe kommen. In manchem Moment scheint dir das sogar zu gelingen. Aber dieser Zustand ist nicht von Dauer: Kaum kommst du mal kurz in den Genuss der Freiheit, wirst du in kürzester Zeit wieder vom Gegenteil überzeugt. Immer wieder schafft es dein Kopf, dich mit neuen Zweifeln, Schreckensszenarien oder unangenehmen Gefühlen und Impulsen in das Grübel-Karussell zurückzuziehen. 

Vielleicht hast du schon jegliche Hoffnung aufgegeben, diesen Zustand jemals beenden zu können. Lange hast du dich gegen deine Gedanken gewehrt, aber die Erfahrung hat dich gelehrt, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Du hast dich damit abgefunden, dass du niemals wieder die Kontrolle über deinen Kopf und deine innere Anspannung zurückerlangen wirst. 

Möglicherweise machst du dir selbst Vorwürfe, weil du es nicht schaffst, aus dem Chaos in deinem Kopf einfach auszusteigen. Schaffen andere Leute es nicht auch, ein unbeschwertes, sorgenfreies Leben zu leben? Und bist nur du vielleicht einfach unfähig, dein Leben endlich in den Griff zu bekommen? Kann das so schwer sein?

Ja, kann es! Egal, wie dich das zwanghafte Grübeln gerade quält: Dass du bisher noch nicht den Ausstieg geschafft hast, liegt weder an dir noch an einem schwachen Willen. Vermutlich ist sogar das Gegenteil der Fall: Zwanghaftes Grübeln ist ein selbstverstärkender Prozess und dein starker Wille, deine Sorgen, Gedanken und Gefühle loszuwerden, heizt diesen Prozess nur noch weiter an. 

Wieso bisher nichts geholfen hat

Der Grund, wieso du so tief im Grübel-Karussell gefangen bist, ist vielmehr, dass du bisher noch keine langfristig hilfreichen Strategien kennst, mit denen du gesünder mit deinen Gedanken, Zweifeln und Sorgen umgehen kannst. Und dafür musst du dir keinen Vorwurf machen: Diese Strategien lernt man nicht in der Schule und leider sind sie auch vielen Psychotherapeuten nicht bekannt. Die Überwindung des zwanghaften Grübelns ist an vielen Stellen paradox und widerspricht jeglicher Intuition. Wäre das nicht so, hättest du dich längst selbst davon befreit.

Wir wollen dir daher unser Mitgefühl aussprechen. OCD Land wird von Spezialisten und ehemaligen Betroffenen von Angst- und Zwangserkrankungen betrieben. Unsere Spezialisten behandeln jeden Tag Patienten, die in der gleichen Situation sind wie du. Und wir ehemaligen Betroffene kennen selbst das Gefühl, sich seinem eigenen Kopf gegenüber völlig ausgeliefert zu fühlen. Wir wissen, wie du dich fühlst. Und auch wenn du es kaum glauben magst: Es gibt Millionen weitere Menschen, denen es so geht wie dir – auch wenn kaum jemand darüber öffentlich spricht.

Gleichzeitig wollen wir dir sagen: Es gibt allen Grund zur Hoffnung. Du magst vielleicht denken, dass du ein besonderer Fall bist, weil sich deine Ängste und Sorgen zum großen Teil im Kopf abspielen, und dir deswegen nichts helfen kann. Allerdings können wir dich beruhigen: Diese Aussage ist schlicht falsch. Zwanghaftes Grübeln gilt heutzutage als gut behandelbar. Wahrscheinlich fehlen dir einfach die richtigen Strategien.

Ohne diese Strategien machst du vermutlich das, was dir intuitiv am hilfreichsten erscheint, dir tatsächlich aber am wenigsten hilft: Du versuchst, dich aus deinem Kopf herauszugrübeln. Und auch wenn du die leise Hoffnung hast, dass dich das deiner Lösung näherbringt – wirklich geholfen hat dir das bisher nicht. 

Albert Einstein hat mal gesagt: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Aber viele Betroffene machen (natürlich aus bester Absicht) genau das: Sie grübeln schon seit Jahren oder Jahrzehnten. Zu einer Lösung sind sie aber trotzdem nie gekommen. Stattdessen ist ihr Leben immer enger und kleiner geworden.

Wir sind aber auch nicht naiv. Betroffenen einfach zu sagen, sie sollen sich keine Sorgen machen oder aufhören zu grübeln, ist aus unserer Sicht nicht nur nicht hilfreich – es ist eine Anmaßung. Vermutlich bist du dir selbst bereits völlig im Klaren darüber, dass deine Gedanken außer Kontrolle geraten sind, und würdest das Chaos im Kopf am liebsten sofort auf Knopfdruck beenden. Wenn es nur so einfach wäre... 

Warum haben wir diese Artikel-Reihe verfasst?

Wir glauben, dass Betroffene vor allem zwei Dinge benötigen, um sich vom zwanghaften Grübeln zu befreien: Erstens musst du das zwanghafte Grübeln und alle seinen fiesen Tricks im Detail verstehen. Ohne dieses Wissen ist man einem solchen mächtigen Gegner machtlos ausgeliefert. Und zweitens benötigst du ganz konkrete, praxiserprobte Strategien, die wirklich helfen und die von Spezialisten seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt werden. Unser Anspruch ist, dir beides zu vermitteln.

In dieser Artikel-Reihe findest du keine „schnelle Lösung“ oder „den einen Trick“, von denen du sicherlich schon zahlreiche erfolglos probiert hast. Du wirst selbst viel Motivation, Anstrengung und Mut aufbringen müssen, um das zwanghafte Grübeln zu überwinden. Wir wollen dich aber mit dieser Artikel-Serie so gut es geht in diesem Prozess unterstützen: Mit hilfreichem Wissen, konkreten Techniken – und mit viel Verständnis und Mitgefühl.

Warum gibt es diese Artikel-Reihe? Zwanghaftes Grübeln ist nicht nur eine sehr große Belastung, sondern auch ein sehr häufiges Phänomen. Das Wissen darum ist im deutschsprachigen Raum jedoch kaum verbreitet und deutschsprachige Betroffene werden mit ihren Schwierigkeiten zum großen Teil alleingelassen. Das wollen wir ändern. 

Das Wissen, das wir in dieser Artikel-Reihe vermitteln, ist aber weder geheim noch haben wir ein Patent darauf. Es basiert auf verschiedensten öffentlich zugänglichen, englischsprachigen Informationen von international anerkannten Spezialisten für Angst- und Zwangserkrankungen. Mit dieser Artikel-Reihe machen wir dieses Wissen gebündelt und leicht verdaulich zum ersten Mal auch im deutschsprachigen Raum verfügbar. Alle Quellen, durch die wir inspiriert wurden, nennen wir am Ende dieser Artikel-Reihe.

An wen richtet sich diese Artikel-Reihe?

Zwanghaftes Grübeln betrifft vermutlich jeden Betroffenen einer Zwangsstörung, ist aber häufig auch in vielen anderen psychischen Störungen anzutreffen (bspw. Sozialphobie, Essstörung, körperdysmorphe Störung, generalisierte Angststörung, Panikstörung, Hypochondrie, posttraumatische Belastungsstörung, spezifischen Phobien wie der Flugangst, aber auch bei Depressionen). Diese Artikel-Reihe richtet sich an alle, die unter dem zwanghaften Grübeln leiden, besonders aber an Betroffene einer Zwangsstörung. 

Abgesehen davon stehen Betroffene vor verschiedenen Herausforderungen, Bedenken und Fragestellungen, auf die wir in dieser Artikel-Reihe besonders eingehen wollen: 

  1. Viele Betroffene wissen nicht einmal, dass sie an zwanghaftem Grübeln leiden. Sie denken dass es ein Teil ihrer Persönlichkeit ist oder es automatisch stattfindet und sie keine Kontrolle darüber hätten. Doch das ist nicht der Fall.
  2. Manche Betroffene einer Zwangsstörung denken, sie hätten lediglich aufdringliche Gedanken, aber gar keine Zwangshandlungen. Das ist falsch, denn bei dieser Subgruppe an Betroffenen finden die Zwangshandlungen allein im Kopf statt. Diese Betroffenen haben nicht - wie sie denken - den ganzen Tag Zwangsgedanken, sondern sie grübeln den ganzen Tag zwanghaft. 
  3. Anderen Betroffenen einer Zwangsstörung ist der Unterschied zwischen Zwangsgedanken und zwanghaftem Grübeln bereits bekannt. Aber ihnen fehlen die richtigen Informationen zum jeweiligen Umgang. Vielleicht haben sie schonmal gelesen, dass man Zwangsgedanken nicht stoppen kann und soll - ihnen ist aber neu, dass das für das zwanghafte Grübeln nicht gilt. 
  4. Für andere Betroffene ist das Problem, dass sie zwar wissen, dass sie mit dem Grübeln aufhören müssen, aber nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Betroffene dieser Gruppe haben bereits das notwendige Wissen und Motivation, aber ihnen fehlt die konkrete Strategie, mit der man das Grübeln unter Kontrolle bringt.
  5. Einigen Betroffenen ist bewusst, dass sie grübeln, aber sie haben große Angst, damit aufzuhören. Sie stellen sich Fragen wie: „Ist man nicht ein unverantwortlicher und moralisch verwerflicher Mensch, wenn man seinen Zweifeln nicht auf den Grund geht? Ist das nicht eine Verdrängung?“. Diese sogenannten (Meta-)Kognitionen können ein Hindernis bei der Überwindung des zwanghaften Grübelns sein.
  6. Für manche Betroffene ist das Problem, dass sie nicht verstehen, warum es überhaupt helfen soll, mit dem Grübeln aufzuhören. Sie denken vielleicht, dass das Grübeln ein Teil von ihnen ist oder dass es ihnen in gewisser Weise hilft, sich auf eine bestimmte Situation vorzubereiten oder eine Gefahr zu verhindern. Auch das ist ein Trugschluss.
  7. Ein weiteres Hindernis für manche Betroffene ist die fehlende Motivation. Sie haben vielleicht schon viele Ratschläge gehört oder sogar selbst recherchiert, aber ihnen fehlt die Kraft und Energie, um dem Grübeln etwas entgegenzusetzen. Es ist völlig verständlich, dass der Kampf gegen das Grübeln nach vielen erfolglosen Jahren aussichtslos scheint. Hier kann der richtige Motivator helfen.  

Auf alle diese Herausforderungen gehen wir in dieser Artikel-Reihe ausführlich ein. 

Was dich in den kommenden Artikeln erwartet

Angst- und Zwangserkrankungen spielen mit den Betroffenen ein unfaires Spiel. Betroffene können ein solches Spiel gar nicht gewinnen, von dem sie nicht einmal die Spielregeln verstehen. Zu Beginn helfen wir dir daher, die Spielregeln und die Techniken deines Gegenspielers zu verstehen, damit du ihm auf Augenhöhe begegnen kannst. 

Anschließend zeigen wir dir konkrete Techniken, die dir helfen, Mut und Motivation aufzubauen, dem zwanghafte Grübeln immer einen Schritt voraus zu sein, ihm zu widerstehen und es schließlich vollständig fallen zu lassen

Konkret wirst du in der Artikel-Serie folgendes lernen:

  • was zwanghaftes Grübeln ist
  • den Unterschied zwischen Zwangsgedanken und zwanghaftem Grübeln
  • typische Inhalte, über die Betroffene grübeln
  • die häufigsten Grundmuster des zwanghaften Grübelns
  • wieso du Zwangsgedanken nicht stoppen kannst, zwanghaftes Grübeln aber schon
  • wieso es so schwer ist, mit dem zwanghaften Grübeln aufzuhören
  • welche falschen Glaubenssätze dir im Weg stehen
  • wie dir zwanghaftes Grübeln schadet, du es aber trotzdem nicht einfach so lassen kannst
  • wie du dich motivieren kannst, mit dem zwanghaften Grübeln aufzuhören
  • wie du mit Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Akzeptanz lernst, Distanz zu belastenden Gedanken und Emotionen aufzubauen
  • wie du Schritt für Schritt Grübelattacken unterbrichst und die Kontrolle über dein Leben zurückbekommst
  • wie du, statt zu grübeln, gesündere Reaktionen auf Zweifel, Zwangsgedanken und Sorgen entwickelst
  • was gesunde Ablenkung ist und wie sie dir hilft, nicht zu grübeln
  • und weitere konkrete Techniken, um das zwanghafte Grübeln zu beenden

Im nächsten Artikel „Was ist zwanghaftes Grübeln“ (Gold-Mitgliedschaft erforderlich) erfährst du, was zwanghaftes Grübeln ist und wie du es von Zwangsgedanken unterscheidest. 

Über die Autoren
Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.