Hyperbewusstheit, Panik, Perfektionismus und DP/DR: Meine Erfahrungen

Von Laura, 22 Jahre

Seit meinem 16. Lebensjahr leide ich unter anderem an einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Ich habe ein lebenswertes Leben mit Perfektion gleichgesetzt und war fest davon überzeugt, dass mein „richtiges Leben“ erst dann beginnt, wenn ich perfekt bin. Viel zu hohe und unrealistische Ansprüche an mich selbst führten zu täglichem Stress und immensen Druck. Ich habe mein Verhalten extrem kritisch bewertet und zwanghaft von mir verlangt, alles „richtig“ zu machen.

Die kleinsten „Fehler“ führten dazu, dass ich mich wertlos und minderwertig fühlte sowie maßlos von mir enttäuscht war. Selbstzweifel und Unzufriedenheit machten sich regelmäßig in mir breit, ausgelöst durch Glaubenssätze wie: „Ich kann erst zufrieden mit mir selbst sein, wenn ich in allen Lebensbereichen Perfektion erreiche.“ Das zwanghafte Verhalten gab mir ein Gefühl von Kontrolle und ermöglichte mir, im Alltag zu funktionieren. Die Zwanghaftigkeit sorgte dafür, dass ich negative Gefühle und vor allem den ausgeprägten Selbsthass nicht wahrnehmen musste. 

Diese Strategie zur Gefühlsvermeidung funktionierte immer nur kurzfristig. Ich konnte die unerbittlichen Ansprüche an mich selbst nur für kurze Zeit erfüllen, wodurch im Endeffekt noch mehr Selbsthass hervorgerufen wurde. Ich habe viele Jahre starr an diesem Selbstkonzept festgehalten und viel Energie dafür aufgebracht. Das Gefühl, etwas „falsch“ zu machen, begleitete mich stets und sorgte für ein immer eingeschränkteres Dasein. 

Wie mich Panik und Hyperbewusstseins-Zwänge mit voller Wucht trafen

Anfang 2023 habe ich meine Ausbildung abgebrochen. Die Zunahme an Aufgaben und die wachsenden Anforderungen führten zu einer kritischen Überforderungssituation. Ich konnte die übermäßige Belastung nicht kompensieren, wodurch es mir stetig schlechter ging. Ich entschied mich für einen stationären Klinikaufenthalt. Zu diesem Zeitpunkt war ich 21 Jahre alt.

Die psychosomatische Klinik, die ich auswählte, ist auf die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen spezialisiert. Bereits zu Beginn der Therapie kam vieles in Bewegung. Unter anderem gelangte ein verdrängtes Trauma verstärkt in mein Bewusstsein und war auch auf emotionaler Ebene spürbar. 

Nach zwei Wochen Therapiezeit war ich aber auf einmal in einem schwerwiegenden Ausmaß von der Hyperbewusstseins-Zwangserkrankung betroffen. Der plötzliche Beginn der Symptomatik traf mich mit voller Wucht. 

In meinem Fall zeigte sich die Erkrankung folgendermaßen: Ich musste mich den ganzen Tag zwanghaft auf die Berührungen konzentrieren, die die Kleidung auf meiner Haut auslösten. Es war schwierig für mich zu begreifen, was mit mir geschieht, und die Symptome einzuordnen. Ich konnte anziehen, was ich wollte. Der Zwang fokussierte sich auf eine Körperempfindung, mit der ich mich gedanklich in jeder Sekunde des Tages auseinandersetzen musste, wobei ich die Empfindungen sehr intensiv wahrnahm. Der Versuch, Erleichterung herbeizuführen, indem ich andere Kleidung anzog, war erfolglos. Ich versuchte diverse Dinge, um mich abzulenken, aber nichts zeigte eine Wirkung. Ein Gefühl von subjektiver Unkontrollierbarkeit machte sich in mir breit. Die Zwangsstörung reduzierte mein Leben auf eine Körperempfindung. 

Ich konnte den Fernseher in meinem Kopf, der immer dasselbe Programm abspielte, zu keinem Moment des Tages leiser stellen, geschweige denn ausschalten. Die dauerhafte Präsenz der Symptomatik und die Aussichtslosigkeit, davor flüchten zu können, lösten eine quälende Angst in mir aus, bis hin zu Panikattacken. Ich konnte den Zustand nicht mehr aushalten und fragte mich ständig, wann das Ganze ein Ende nimmt. Neben der hohen Anspannung, dem Hochstress und der Übelkeit kamen Gedanken auf wie: 

  • „Ich habe Angst davor, für immer Gefangene meiner Gedanken zu sein.“
  • „Der Zustand ist nicht zu beenden. Ich werde nie wieder Zeiten der Unbeschwertheit erleben.“
  • „Ich glaube, ich verliere meinen Verstand.“
  • „Und wenn es doch an der Kleidung liegt?“

Mir war es nicht möglich, zur Ruhe zu kommen und ich befürchtete, für immer leiden zu müssen. Ich machte mir immer wieder bewusst, dass es sich nur um Kleidungsstücke handelt, die meine Haut berühren und keine Schmerzen verursachen, aber auch diese logische Herangehensweise und Realitätsüberprüfung brachten keine Linderung. 

Ich war zunehmend verwirrt. Mir fiel es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen und nachzuvollziehen, warum ich so viel Angst empfinde. Die Durchschlafstörungen und Albträume sorgten für eine noch größere Erschöpfung. Ich sehnte mich nach einem Moment der Ruhe. Einen Moment ohne Panik. 

Darüber hinaus war ich von einer dissoziativen Symptomatik betroffen: 

  • Depersonalisation: Mein Körper fühlte sich taub an. Ich nahm ausschließlich eine Körperempfindung wahr, die sich der Zwang aussuchte und durchgängig in den Fokus nahm. Es wurde alles gleichgültig, denn die Hyperfokussierung beanspruchte meine komplette Aufmerksamkeit und ließ mich an nichts anderes mehr denken. Ich hatte das Gefühl, neben mir zu stehen, mich immer mehr zu verlieren und aufzulösen. Ich fing an zu glauben, dass hinter dem Zwang nur Leere ist.
  • Derealisation: Ich fand mich in einer anderen Realität wieder, in der eine Mauer zwischen mir und den anderen Menschen dafür sorgte, dass ich weit weg von ihnen bin. Die Umwelt wirkte unecht, wie gemalt, als ob ich mich in einem Bilderbuch bewegte und jedes einzelne Detail wahrnehmen konnte. Es schien so, als würden sich die Grenzen zwischen mir und der Umwelt auflösen. 
  • Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung: Ich nahm Missempfindungen wahr, welche sich in Brennen, Kribbeln oder Stechen zeigten. 

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Fünf Wochen lang versuchte ich, die Zwangssymptomatik in den Griff zu bekommen. Trotz meiner großen Bemühungen und den Ehrgeiz, der mich dazu brachte, immer wieder aufzustehen, kam es zu einer stetigen Verschlechterung meines Zustandes. Meine Befürchtung wurde wahr: Ich wurde auf die geschützte Station eines psychiatrischen Krankenhauses verlegt. Dennoch war ich froh darüber, nun intensivere Unterstützung zu erhalten. Denn die Therapie in einer psychosomatischen Klinik verlangt deutlich mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit als die Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus. 

Auf der Akutstation ging es zunächst darum, die schlimmsten Tage mit Hilfe von Beruhigungsmedikamenten und intensiver Unterstützung des Fachpersonals zu bewältigen. 

In dieser Phase arbeitete ich verstärkt mit Skills. Besonders häufig griff ich auf Kühlakkus, Pfefferminzöl, Wärmecreme und einen Igelball aus Holz zurück, um einen starken Reiz auszulösen, der dabei half, meine hohe Anspannung und die Panik zu regulieren sowie der Depersonalisation und Derealisation entgegenzuwirken.

Im Gespräch mit meiner behandelten Therapeutin stellten wir folgende Vermutung an: Durch die Zwangssymptomatik werden in meinem Fall belastende Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle verdrängt. Die ständige Auseinandersetzung mit meiner Kleidung und die dadurch ausgelösten Empfindungen verhindern, dass ich mich mit dem aufkommenden Trauma und anderen schmerzlichen Erkenntnissen beschäftige. Nach all den Jahren der Verdrängung brach etwas in mir auf, mit dem meine Psyche überfordert ist. So paradox wie es auch klingen mag: Die Symptomatik dient dazu, mich zu schützen. Die Zwangserkrankung ist somit ein Versuch der Kompensation.

Die Funktion einer Zwangsstörung ist bei jedem Betroffenen individuell zu betrachten. Die Zwangssymptomatik als Schutzmechanismus beschreibt nur meine persönliche Situation. Das bedeutet, eine Zwangsstörung muss nicht mit traumatisierenden Erlebnissen aus der Vergangenheit zusammenhängen! Außerdem kann es sich bei der Frage nach dem „Warum“ immer nur um Hypothesen handeln, da man nie zu 100% wissen kann, warum man unter einer Zwangssymptomatik leidet. 

Ausschlaggebend für den weiteren Verlauf war ein spürbarer Rückgang der extremen Angstsymptome. Denn nur so konnte ich herausfinden, dass die Auswahl der Kleidungsstücke einen Einfluss auf meine Zwangssymptomatik hat. Ich hielt mich überwiegend in einer langen Jeanshose und einen Pullover auf. Das Tragen von Sommerkleidung, wie zum Beispiel ein Kleid, war mir nicht möglich, sodass ich auch bei höheren Temperaturen lange Kleidung anzog. 

Erst zu einem viel späteren Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass die Kleidung eine Art „zweite Haut“ für mich ist, die mich schützt. Dieser Schutz ist bei langen Kleidungsstücken mehr gegeben als bei kurzen. Mit der Zeit gelang es mir, eine kleine Auswahl an Kleidungsstücken herauszustellen, in denen die Zwangsgedanken weniger Macht über mich haben. Es kam zu einer Zunahme meiner Selbstwirksamkeit. Das bedeutet, aktives Handeln machte endlich wieder einen Unterschied!

Einerseits war ich froh darüber, dass es Kleidungsstücke gibt, in denen die Zwangsgedanken ein wenig schwächer ausfallen und somit Fortschritte möglich sind, andererseits sorgte diese Tatsache zunächst für noch mehr Fragezeichen. 

Expositionen, Tagesstruktur, Listen und mehr: Was mir half und mich motivierte

Im Laufe meines Klinikaufenthalts gelang es mir, durch Expositionen, die Auswahl an Kleidungsstücken zu erweitern. Je länger ich mich in einem „neuen“ Kleidungsstück aufhielt, desto mehr nahm die zu Beginn starke Alarmreaktion ab. Dennoch gibt es bis heute Anziehsachen, die ich trotz Konfrontationen noch nicht anziehen kann. Beim Tragen dieser Kleidungsstücke bin ich intensiven Emotionen ausgesetzt und habe das Gefühl, dass sich meine „Schutzschicht“ fast komplett auflöst. Die Zwänge überwältigen mich und Angst wird ausgelöst. Meine Psyche signalisiert mir, dass ich in Gefahr und jederzeit angreifbar bin. Darüber hinaus geht jeglicher Halt verloren und ich falle gefühlsmäßig in die Leere. 

Mein Gewinn ist, dass ich mir mit der Zeit eine Art „Komfortzone“ errichten konnte - mit Kleidungsstücken, in denen die Zwangsgedanken milder ausfallen und mir somit ein Alltag möglich ist. Ich befinde mich nicht, wie zu Beginn meiner Erkrankung, dauerhaft in einer Exposition und in dauerhaften Angstzuständen. Ich kann in dieser Art von „Komfortzone“ wieder Kraft für die weitere Therapie - und weitere Expositionen - sammeln. 

Außerdem wurde mir bewusst, dass bereits kleine und einfach Dinge einen Unterschied machen. Die Tagesstruktur, die mir während meines Klinikaufenthalts vorgegeben wurde, gab mir Orientierung und Sicherheit. Darüber hinaus ermöglichte mir meine Morgenroutine, mit mehr Stabilität in den Tag zu starten. Mir wurde bewusst, dass drei feste Mahlzeiten und genügend Trinken sowie tägliche Bewegung und ausreichend Schlaf die Grundlage für eine Therapie bilden. Zwischenzeitliche Ruhephasen waren ebenfalls unabdingbar, da die Zwangsgedanken und der Klinikalltag viel Energie von mir abverlangten. 

Ein weiterer Baustein waren positive Aktivitäten. Die Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten half mir dabei, den Zwang zeitweise in den Hintergrund zu rücken und aktiv Einfluss auf meine Stimmung zu nehmen. Beispiele für solche Aktivitäten sind: Mandalas ausmalen, Puzzeln, ein Spaziergang machen, Lesen oder Musik hören. 

Des Weiteren profitierte ich von der intensiven Unterstützung des Fachpersonal. Die zahlreichen Gespräche und die Zusammenarbeit mit den Pflegern*innen und Therapeuten*innen gaben mir Halt und ein Gefühl von Sicherheit. Ich konnte offen über meine Sorgen und Gefühle sprechen. Alles durfte da sein: die Verwirrung, die Trauer und die Wut. In meiner Verzweiflung fand ich Trost und jemanden, der mir Mut machte. 

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Geschichte, die mir eine Pflegerin vorlas. In der Geschichte ging es darum, dass man morgens wach wird und plötzlich alle Symptome verschwunden sind. Die Fragen, die sie mir parallel dazu stellte, lösten sehr viel in mir aus. 

Außerdem sorgte der Therapiehund auf der Akutstation, mit dem ich zusammenarbeiten durfte, immer mal wieder für eine kleine Freude. Auch der tägliche Kontakt zu den Mitpatienten*innen gab mir die Kraft weiterzumachen. Wir unterstützten uns gegenseitig und erlebten Momente, in denen wir zusammen lachten und Spaß hatten. 

In Tagebucheinträgen versuchte ich, mich durch mutmachende Sätze selbst zu trösten und zu beruhigen. In den Einträgen lassen sich Aussagen finden wie: „Die Angst darf da sein. All das Durcheinander darf da sein. Alle Körperempfindungen dürfen da sein. Ich muss nicht mehr kämpfen. Alles darf so sein, wie es ist.“ oder „Es ist okay, dass es mir aufgrund meiner Erkrankung schlecht geht, aber ich weiß auch, dass es wieder bessere Zeiten geben wird, und deswegen lohnt es sich, weiterzumachen.“

Ebenfalls hilfreich war das Anlegen von Listen, die mir neuen Antrieb und Motivation gaben und auf die ich jederzeit zurückgreifen konnte. Ich beantwortete stichpunktartig die Fragen: „Was macht das Leben lebenswert?“, „Warum lohnt es sich weiterzumachen?“ und „Was habe ich bereits für kleine Erfolge gemacht?“ 

Darüber hinaus kreierte ich einen inneren sicheren Ort. Dieser Ort soll ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und dafür sorgen, dass man sich wohl und geborgen fühlt. Man schließt die Augen und kann diesen Ort anhand der fünf Sinne frei gestalten. Ich zum Beispiel stellte mir ein gemütliches Zimmer vor, in dem entspannte Musik läuft und man durch das offene Fenster das Rauschen der Bäume hört. Ich sitze auf einem Bett, die Sonne scheint ins Zimmer, eine Katze leistet mir Gesellschaft und ich kann den Duft meines frisch zubereiteten Pfefferminztees riechen.

In einer Ressourcenbox sammelte ich Eigenschaften, die ich an mir mag. Indem ich meine Stärken wieder mehr in den Vordergrund rückte, steigerte sich das Vertrauen in meine Fähigkeiten, die mir dabei halfen, einen Umgang mit der Zwangserkrankung zu erlernen. Außerdem erweiterte ich die Box um schöne und lustige Momente, die ich erlebt habe. Diese Erinnerungen versuchte ich mir so detailliert und lebhaft wie möglich vorzustellen (Beschreibung der Situation, Geräusche, Gefühle, Düfte, …), um so positive innere Bilder in mir auszulösen. Das Gute ist, dass man diese Box beliebig erweitern kann. 

Mir ist bewusst, dass manche von mir genannten Tipps das Potential haben, eine Zwangshandlung werden zu können, wenn man damit ritualhaft versucht, unangenehme Gefühle oder Empfindungen zu kontrollieren oder loszuwerden. Das war bei mir nicht der Fall, aber ich möchte auf diese potentielle Gefahr für andere Betroffene hinweisen. 

Wie mir die die Akzeptanz- und Commitment-Therapie beim Umgang mit der Zwangsstörung half

Auch in der Auseinandersetzung mit der „Akzeptanz- und Commitment-Therapie“, konnte ich etwas dazulernen. Anfangs konnte ich mir überhaupt kein Leben mit der Zwangserkrankung vorstellen. Mir fiel es schwer zu akzeptieren, dass die Symptomatik, die von einem Tag auf den anderen mein komplettes Leben bestimmte, nicht einfach wieder verschwinden kann. 

Es war unabdingbar, mich wiederkehrend mit der Akzeptanz und dem Weiterleben zu beschäftigen und beidem, zahlreiche Male, mit einem „Ja“ zu begegnen. Ich sagte mir immer wieder: „Alltag trotz Symptome“ und „Das darf so nebenbei existieren.“ Ich merkte, dass es mir durch die Akzeptanz möglich wurde, mich auch auf andere Dinge zu konzentrieren. 

Ich fragte mich, wie ich mein Leben gestalten möchte, unabhängig von den Zwängen, und richtete dahingehend mein Tun aus. Es war mir nicht möglich, Kontrolle über die Zwangssymptomatik zu erlangen, aber mein Handeln konnte ich aktiv beeinflussen, wobei ich wieder das Gefühl hatte, selbstwirksam zu sein. 

Auch die sogenannten „Defusionsübungen“ machte ich mir zunutze. Besonders hilfreich war es, die Zwangsstörung wie ein eigenständiges Wesen zu betrachten und dieses zu malen. In meinem Fall ist der Zwang ein kleines buntes Monster, welches große Ohren und einen witzigen Mund hat sowie eine markante Brille trägt. Er bekam den Namen „Harribert die Quasselstrippe“. Durch diese humorvolle Verbildlichung nahm die Angst vor den Zwängen ab. Es führte dazu, dass ich Mitgefühl mit diesem Monster bekam und sich so ein größeres Verständnis für die Erkrankung entwickelte und ich sie ein Stück weit annehmen konnte. Mir wurde bewusst: Ich habe Zwänge, aber ich bin nicht meine Zwänge. 

Als Unterstützung wurde zusätzlich eine medikamentöse Behandlung eingesetzt. Um den ausgeprägten Zwängen entgegenzuwirken, nahm ich ein Antidepressivum ein, das in höheren Dosen, auch bei Zwangsstörungen hilft. Die Einnahme von einem Neuroleptikum zielte darauf ab, die starken Angst- und Erregungszustände abzudämpfen. 

Die Hyperbewusstseins-Zwangserkrankung tritt selten auf und ist dadurch nicht sonderlich bekannt. Die Frage, ob es sich bei meiner Symptomatik, um eine Zwangserkrankung handelt, blieb lange unbeantwortet. Ich stellte zahlreiche Hypothesen auf. Ich wollte wissen, unter welcher Erkrankung ich leide.

Nach mehreren Wochen der Ungewissheit, als sich der Klinikaufenthalt schon dem Ende zuneigte, stieß ich zufällig auf die Internetseite von OCD Land, auf der diese spezifische Zwangsstörung dargestellt wird. Ich war geschockt und erleichtert zugleich. Endlich hatte ich einen Namen für meinen Leidensdruck und konnte die Geschehnisse einordnen. Ein Stück Ruhe kehrte in mir ein. Das ständige Grübeln nahm ab. 

Mein Fazit – und wie es weitergeht

Ich bin stolz auf mein Durchhaltevermögen und den Weg, den ich bereits gegangen bin. Auch wenn ich noch sehr bewusst wählen muss, was ich anziehe, kann ich mittlerweile mehrere Stunden ohne Zwangsgedanken verbringen und beispielsweise ein Treffen mit Freunden genießen. 

Ich möchte diese Krise auch als eine Chance sehen, etwas an den Umgang mit mir selbst zu verändern und mir mit deutlich mehr Wohlwollen zu begegnen. Die Krise war notwendig. Nach all den Jahren habe ich das Gefühl, einen Zugang zu mir gefunden zu haben. Und auch wenn noch viel Arbeit vor mir liegt, glaube ich zum ersten Mal, dass es auch langfristig besser werden kann. 

Ich begebe mich mit Mut und Zuversicht in meinen weiteren Therapieprozess und ich bin nun fest davon überzeugt, dass trotz der Zwangsstörung ein lebenswertes Leben möglich ist. Ich weiß jetzt, dass kein Zustand ewig dauert und ich eine Kraft in mir habe, die mich selbst aus der schwersten Zeit trägt. Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch diese Stärke besitzt! Auch wenn ich meine Zwänge noch nicht komplett überwunden habe, bin ich froh hier zu sein. Denn das Leben hat so viel Aufregendes und Interessantes zu bieten. Es lohnt sich weiterzumachen. Trotz allem. Weil das Leben schön ist. 

Laura, 22 Jahre

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